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				Bis zum Jahr 1944 
				stellte die Frage der türkischen Minderheit in Bulgarien kein 
				vordringliches Problem dar, wenngleich sie latent vorhanden war 
				und die erwachten nationalistischen Leidenschaften so manche 
				Komplikationen verursachten.
				
				Die politischen Veränderungen nach dem Kriege schufen jedoch 
				auch für die bulgarischen Türken völlig neue Bedingungen. So 
				führten die Sowjetisierung des Landes, die Kollektivierung der 
				Landwirtschaft, die Verstaatlichung des türkischen 
				Bildungswesens und die konsequente Politik der Säkularisierung 
				zu einer Wende im traditionellen Leben der Muslime. Die 
				Entstehung des „Eisernen Vorhangs“ an der Grenze zwischen 
				Bulgarien und der Türkei zog ihrerseits einen tieferen Graben 
				zwischen diesen benachbarten Ländern. Bald gerieten sie in 
				verschiedenen Machtsphären, was zu ihrer Eingliederung in die 
				entgegengesetzten Militärblöcke der NATO (1950-1952) und des 
				Warschauer Paktes (1955) führte. So wurde die türkische 
				Minderheit als eine natürliche Brücke zwischen beiden Völkern 
				und Kulturen sehr früh in die Kontroversen des Kalten Krieges 
				hineingezogen und entwickelte sich zu einem ernsthaften Problem 
				der bilateralen bulgarisch-türkischen Beziehungen. Für die 
				bulgarische Nationalpolitik gewann das Problem dadurch zunehmend 
				an Bedeutung und harrte daher einer endgültigen Lösung. Die 
				Entwicklung der türkischen Minderheit unter kommunistischer 
				Herrschaft durchlief zwei Hauptphasen, die ganz allgemein mit 
				der Stalinschen und 
				
				Živkovschen 
				„Ära“ der modernen bulgarischen Geschichte zusammenfallen. 
				
				  
				
				Die Zeit Dimitrovs und 
				seiner Nachfolger (1944-1956) 
				
				  
				
				Über Anzahl und 
				Situation der türkischen Bevölkerung im Wendejahr 1944 
				existieren keine statistischen Angaben. Man weiß, dass die 
				letzte Nummer der einzigen muslimischen Zeitung „Medeniyet“ 
				[Zivilisation, Kultur] am 12. August erschien, also drei Wochen 
				vor dem verzweifelten Versuch, das Land durch die neue Regierung 
				Konstantin Muravievs dem Krieg zu entziehen. Auch über die Zahl 
				der damals ausgewanderten bulgarischen Türken ist nichts 
				bekannt, da für die Zeitspanne 1944-1947 keine Daten, aus denen 
				Informationen darüber hervorgingen, existieren.
				
				Man kann nur vermuten, dass die Zahl dieser Auswanderer 1000 
				nicht überstieg.
				
				Die politische Wende in Bulgarien führte jedoch zur illegalen 
				Emigration von Personen, die mit den früheren Regimes verbunden 
				gewesen waren und Repressalien seitens der neuen Macht zu 
				befürchten hatten. Ob darunter auch Muslime waren und wieviele, 
				läßt sich heute nunmehr schwer feststellen. 
				
				          In den 
				ersten Nachkriegsjahren verbesserte sich der Status der 
				bulgarischen Türken in einem wesentlichen Ausmaß, so kam es bis 
				zum Jahr 1951 zu einer Ausweitung ihrer nationalkulturellen 
				Rechte. Auch die soziale Lage dieser Minderheit, die unter der 
				früheren Segregationspolitik in eine Art „Appendix“ der 
				Staatsnation verwandelt worden war, verbesserte sich insgesamt. 
				Durch den Bruch im traditionellen Leben der muslimischen 
				Bevölkerung, zu dem es durch die Politik der Säkularisierung 
				sowie die Kollektivierung kam, wuchs jedoch auch der 
				Emigrationsdruck. Diese Periode verlief in zwei Phasen 
				(1944-1948 und 1949-1951), die mit dem Versuch der Errichtung 
				einer „volksdemokratischen“ Regierungsform sowie dem Streben 
				nach einer Balkanföderation, nach dem Tod Georgi Dimitrovs auch 
				mit einem forcierten Übergang zum sowjetischen politischen 
				System, verbunden waren. 
				
				          Bereits Ende 
				Dezember 1944 organisierte die Bulgarische Arbeiterpartei der 
				Kommunisten, die BRP(k) [Bălgarska Rabotničeska Partija (komunisti)], 
				eine Konferenz mit Vertretern der türkischen Minderheit, im März 
				1945 führte sie auch ein Treffen mit linksorientierten Pomaken 
				durch. Bei diesen Begegnungen wurden Maßnahmen zur Einbeziehung 
				der muslimischen Bevölkerung in die Politik der regierenden 
				„Vaterländischen Front“ besprochen. Im Jahr 1945 begann man, 
				neue türkischsprachige Zeitschriften herauszugeben, wie „Vatan“ 
				[Vaterland, Sofia 1945] und „Yeni ışık” 
				[Neues Licht, Sofia 1945/46 und folg.].
				
				Auch Zeitungen erschienen, wie z. B. “Eylûlcü 
				çocuk“ 
				[Septemberkind, Sofia 1946-1960], “Halk gençliği” [Volksjugend, 
				Sofia 1948 und folg.], “Halk yükselişi” [Volksaufschwund, Sofia 
				1948/49–1949/50] usw.
				
				Allmählich wuchs 
				auch die Anzahl der türkischen Schulen. Mit dem novellierten 
				Gesetz über die Volksbildung wurden im Jahre 1946 die 
				Minderheitenschulen im Lande zum ersten Mal verstaatlicht und so 
				den bulgarischen rechtlich völlig angeglichen. Dies war ein 
				Anreiz für die türkische Bevölkerung, mit freiwilliger Arbeit 
				zur Errichtung neuer Schulgebäude beizutragen.
				
				Allein im Jahr 1947 wurden 75 neue Bildungseinrichtungen 
				eröffnet, und 1948 besuchten schon 80% der türkischen Kinder 
				regelmäßig eine Schule.
				
				Für die religiösen 
				Bedürfnisse blieben anfangs fünf Medresses (niedrige geistliche 
				Schulen) bestehen sowie das „Nüvvab“ in 
				
				
				Šumen 
				als höhere Religionsschule, die sich später in eine Art 
				türkisches Minderheitengymnasium verwandelte. Darüber hinaus 
				wurden 1947 die erste türkische pädagogische Schule in Stara 
				Zagora sowie das erste „bulgarisch-mohammedanische“ Gymnasium in 
				Plovdiv eröffnet, im Jahre 1948 wurde am Lehrerinstitut in
				
				
				Šumen 
				eine Spezialabteilung zur Ausbildung türkischer 
				Mittelstufenlehrer gegründet. Zur gleichen Zeit wurden auch 
				türkische Kindergärten und Lesehallen in fast allen Bezirken mit 
				dichter türkischer Besiedlung eröffnet. 
				
				          Dies 
				alles zeugt von einer spürbaren Verbesserung der Lage der 
				bulgarischen Muslime, die beim Zensus des Jahres 1946 auf  
				938.418 Menschen belief. Etwa 675.000 davon (oder 9,61% der 
				Einwohner des ganzen Landes) wurden als ethnische Türken 
				registriert. Weit größere Möglichkeiten für die Erweiterung der 
				Minderheitenrechte bot die Ende 1947 verabschiedete erste 
				republikanische (die sogenannte „Dimitrov sche“) Verfassung, 
				deren Art. 79 das Recht der „nationalen Minderheiten“ auf 
				muttersprachlichen Unterricht und die Entwicklung der 
				Nationalkultur beim obligatorischen Erlernen der bulgarischen 
				Sprache garantierte. Der Verfassungsentwurf hatte sogar das 
				Recht jedes Bürgers vorgesehen, „seine Nationalität frei zu 
				bestimmen“,
				
				doch wurde dann 
				diese Klausel aus dem endgültigen Text gestrichen. Obwohl im 
				neuen Grundgesetz die türkische Bevölkerung nicht direkt 
				angesprochen wurde, so bestätigte es de facto ihren 
				nationalen Status, und in den offiziellen Veröffentlichungen aus 
				der zweiten Hälfte der vierziger Jahre wird häufig von einer 
				„türkischen nationalen Minderheit“ gesprochen. Dies ermöglichte 
				den Wegsfall der slawischen Suffixe -ov, -ev aus 
				den türkischen Familiennamen. Gleichzeitig erhielten auch die 
				1942 umbenannten Pomaken wieder ihre alten muslimischen Namen 
				zurück. 
				
				          Viele 
				Verfassungsbestimmungen wurden ins Programm der „Vaterländischen 
				Front“ [Otečestven front] vom Februar 1948 aufgenommen, das z. 
				B. von einer „Trennung von Staat und Kirche“, einer „staatlichen 
				Aufsicht über die Volksbildung“, einer Sicherung des „weltlichen 
				Charakters der Erziehung“, einer Schließung der „privaten 
				geistlichen Schulen“ usw. sprach. In Übereinstimmung damit 
				wurden noch 1948 die türkischen Schulen, ein Jahr später auch 
				die muslimischen Religionseinrichtungen unter die direkte 
				Kontrolle der Regierung gestellt. Obwohl diese Maßnahmen manche 
				traditionelle Freiheiten (z. B. das Recht auf Selbstverwaltung 
				der muslimischen Schulen) verletzten, trugen sie immerhin zu 
				einer Verbesserung der stagnierenden Lage der Minderheit bei.  
				Zweifellos haben auch die Prozesse des sozialen Wandels in 
				Bulgarien zu positiven Veränderungen im ökonomischen Bereich, zu 
				größerem Respekt gegenüber der muslimischen Bevölkerung und zur 
				Verbesserung ihrer allgemeinen Lage geführt. Sie gerieten aber 
				oft auch im Konflikt mit den traditionellen Sozialstruktur und 
				Mentalität der bulgarischen Türken. Viele von ihnen empfanden 
				die Veränderungen offensichtlich als Angriff auf ihre 
				Lebensweise und als Gefahr für ihre nationale Identität.
				
				Daher verstärkte 
				sich trotz der wohlwollenden Minderheitenpolitik noch Ende der 
				vierziger Jahre den Auswanderungswunsch unter den Muslimen, der 
				von der Propaganda in Ankara zusätzlich unterstützt wurde. 
				
				          Man darf 
				nicht vergessen, dass die Entwicklungsprozesse in Bulgarien nach 
				dem Krieg von immer stärker werdenden Spannungen zwischen den 
				beiden Nachbarländern begleitet wurden. Von 1945 an waren ihre 
				Beziehungen abhängig von ihrem jeweiligen Verhältnis zu den 
				Großmächten. Die westlichen Alliierten, die ihre eigenen 
				Interessen verfolgten, überließen Bulgarien dem sowjetischen 
				Machtbereich. Diese Nachgiebigkeit galt jedoch nicht für die 
				südlichen Teile des Balkans. Die Nachkriegskonfrontation mit 
				Moskau war in Griechenland besonders stark spürbar, wo sich der 
				politische Widerstand zu einem verbitterten Bürgerkrieg 
				auswuchs. In der Türkei selbst führte dies zu einem verstärkten 
				Gefühl der Bedrohung und beschleunigte die Hinwendung des Landes 
				zum Westen. Im Mai 1947 verkündete Ankara seine Bereitschaft, 
				Balkan-Türken aufgrund schon vorher geschlossener Vereinbarungen 
				aufzunehmen, und ab der zweiten Hälfte desselben Jahres wurde 
				immer häufiger auch die Frage nach der Lage der bulgarischen 
				Türken gestellt. Gleichzeitig wuchs die Anzahl der Zwischenfälle 
				an den Grenzen und verstärkte sich den Propagandakrieg, der nach 
				und nach immer schärfere Töne annahm.  
				
				          Im 
				September 1946 sprach ein Pomaken-Vertreter in Griechenland von 
				der Bedrückung der Muslime in Bulgarien,
				
				und es wurden 
				pomakische Diversantengruppen außerhalb des Landes ausgebildet. 
				
				1947 und 1948 gab 
				es mehrere Scharmützel und Verletzungen der bulgarischen Grenzen 
				seitens Griechenlands und der Türkei. Am 11. Oktober 1947 drang 
				ein türkisches Flugzeug in den bulgarischen Luftraum oberhalb 
				der Grenzstadt Malko Tărnovo ein,
				
				am 15. und 16. 
				Oktober wurde einen Grenzposten im Gebiet von Svilengrad 
				angegriffen,
				
				und als 
				schließlich am 9. Februar 1948 zwei türkische Militärflugzeuge 
				über Sozopol neben Burgas abgeschossen wurden, erreichte die 
				Spannung zwischen beider Ländern einen kritischen Punkt.
				
				Am 13. März 1948 
				verlangten die bulgarischen Machthaber die Abberufung des 
				türkischen Militärattachés und seines Adjutanten wegen Spionage, 
				worauf Ankara mit der Schließung dieses diplomatischen Postens 
				antwortete und seinerseits den bulgarischen Militärattaché 
				auswies.
				
				Gleichzeitig wurde 
				die antibulgarische Kampagne der türkischen Massenmedien 
				fortgeführt. Am 31. März 1948 behauptete z. B. die Zeitung „Yeni 
				Sabah“, die sich auf bulgarische Aussiedler berief, dass die 
				Türken im Lande Verfolgungen ausgesetzt seien, weil ihnen ein 
				fremder Glaube aufgezwungen und die Namen geändert werden, 
				außerdem sei eine Gruppe von Jugendlichen, die mit den 
				Flüchtlingen gemeinsam unterwegs war, mit Beilen totgeschlagen 
				worden. Die Nachricht rief heftige Entgegnungen und Proteste von 
				bulgarischer Seite hervor.
				
				Heute läßt sich 
				kaum etwas über den Hintergrund dieser Zeitungsnotiz in 
				Erfahrung bringen, auf jeden Fall ist die Behauptung von einer 
				Namensänderung zu dieser Zeit höchst verblüffend, jedenfalls ist 
				sie ein Nachweis, wie die Einstellung der türkischen 
				Öffentlichkeit zu den politischen Veränderungen in Bulgarien 
				war. Auch dies übte einen bestimmten Einfluß auf die Stimmung 
				unter den Muslimen aus, deren Wunsch nach Auswanderung in die 
				Türkei noch 1948 wuchs. Die kommunistische Führung hatte dies 
				lange Zeit allein der „Propaganda aus Ankara“ zugeschrieben. Am 
				4. Jänner 1948 jedoch kam das Zentralkomitee (ZK) der 
				Bulgarischen Kommunistischen Partei [Bălgarska Komunističeska 
				Partija, BKP] zu dem Schluß, daß die türkische Minderheit ein 
				unproduktives und potentiell unsicheres Element darstelle, 
				dessen sich das Land zum Teil „entledigen“ müsse. Auf dieser 
				Sitzung drängte Georgi Dimitrov auf eine Lösung des Problems bis 
				zum Ende des Jahres. Die „nichtbulgarische Bevölkerung“, die er 
				als „ein Geschwür für unsere Gesellschaft“ bezeichnete, sollte 
				von der südlichen Grenze Bulgariens entfernt und in eine andere 
				Region umgesiedelt werden. 
				
				Und später hegte 
				auch Dobri Terpešev seine Zweifel, ob sich die türkische 
				Minderheit überhaupt jemals dem Volk der Bulgaren anschließen 
				könne, weswegen er die ganze Angelegenheit auf die Frage 
				reduzierte, wann und wie die Türken auswandern sollten, durch 
				wen sie zu ersetzen seien und welche weitere Veränderungen in 
				den entsprechenden Gebieten durchzuführen seien. 
				
				          Die 
				Ereignisse des Jahres 1948 verzögerten eine endgültige 
				Beschlußfassung. Der Bruch Titos mit Moskau führte unter anderem 
				auch dazu, daß Stalin jegliches Interesse an der Idee einer 
				Balkanföderation verlor, die als ein mögliches Mittel für das 
				sowjetische Eindringen in Jugoslawien hätte dienen können.
				
				Dies spiegelte sich in der weiteren Entwicklung Bulgariens, wo 
				mit dem Ende des „volksdemokratischen“ Experiments der Übergang 
				zum sowjetischen politischen System forciert wurde. Diese Wende 
				des Jahres 1948 beeinflußte auch die Lage der türkischen 
				Minderheit. Die Verschlechterung der bulgarisch-jugoslawischen 
				Beziehungen führte zu Einschränkungen in ihrem Status, und die 
				immer stärker werdende Einmischung des Staates in fast alle 
				Lebensbereiche heizte die Atmosphäre der Feindseligkeit 
				zusätzlich an. Die Schwierigkeiten, sich an die sozialen 
				Veränderungen anzupassen, die Wirkung der Propaganda aus Ankara, 
				das Gerücht,  die Grenzzone würde sich zu einem Kriegsschauplatz 
				entwickeln, das Beispiel der nach Israel auswandernden 
				bulgarischen Juden; all dies bestärkte den Wunsch der Türken 
				nach Emigration.
				
				Der Tod Dimitrovs 
				am 2. Juli 1949, mit dessen Namen bereits seit den zwanziger 
				Jahren die Pläne einer kommunistischen Balkanföderation und die 
				sich daraus ergebende Förderung der Minderheitenrechte verbunden 
				waren, mag einen neuen Anstoß dazu gegeben haben. 
				
				          Am 18. 
				August 1949 gab das Politbüro des ZK der BKP grünes Licht für 
				den um ein Jahr verschobenen Kurs der Aussiedlung.
				
				Es wurde 
				beschlossen, den Emigrationswilligen aus den Grenzgebieten keine 
				Hindernisse mehr in den Weg zu legen. Falls die Türkei deren 
				Aufnahme bis zum Ende des Jahres verweigern sollte, so sei die 
				Umsiedlung dieses Teiles der Bevölkerung „in nördliche Gegenden 
				des Landes“ zu organisieren und an ihrer Stelle sollten Bulgaren 
				angesiedelt werden. Für die praktische Vorbereitung und 
				Durchführung der Aktion bildete man einen Regierungsausschuß 
				beim Ministerrat. Die Aussiedlung sollte schrittweise „nach 
				Etappen und Gruppen“ erfolgen, wobei zuerst alle „türkischen 
				Reaktionäre und Anstifter“ erfaßt werden sollten. Was die 
				Pomaken anbetraf, so sollte künftig nach dem Grundsatz verfahren 
				werden, dass sie „Bulgaren und keine Türken oder irgendeine 
				Mischung zwischen Bulgaren und Türken“ seien. Und, da in der 
				Vergangenheit dieser Bevölkerung mit Gewalt turkisiert worden 
				sei, läge es heute in ihrem Interesse, sich von den Einflüssen 
				der „türkischen Reaktion“ zu befreien und sich „vollständig mit 
				dem Bulgarenvolk zu vereinigen“. 
				
				          Dieser 
				Beschluß fiel knapp einen Monat, nachdem Vasil Kolarov an die 
				Spitze des Staates gelangt war, doch wurde die ganze Aktion zu 
				Zeiten Vălko Červenkovs durchgeführt. Zwischen dem 10. August 
				1950 und Anfang November 1951 verließen 155.667 Menschen das 
				Land.
				
				Schon damals 
				wähnten ausländische Beobachter, dass der Zeitpunkt der 
				Emigration sowjetischem Einfluß zuzuschreiben sei. Zweimal ließ 
				die Türkei ihre Grenze schließen, mit der Begründung, unter den 
				Auswanderern befänden sich auch Zigeuner mit gefälschten Visa. 
				Doch während im Oktober 1950 diese Maßnahme zu einer Regulierung 
				der Emigrationswelle führte, sah die Situation ein Jahr später 
				bereits anders aus. Schon in der ersten Hälfte des Jahres 1951 
				machten sich nämlich neue Tendenzen im bulgarischen politischen 
				Kurs bemerkbar. Im Jänner und Februar traf das Politbüro manche 
				Entscheidungen über die Parteiarbeit mit der türkischen 
				Bevölkerung, über den Austausch von Delegationen mit 
				Aserbaidschan, über die Besiedlung des von den türkischen 
				Auswanderern verlassenen Landes usw.
				
				Im Februar hielt 
				sich eine aserbaidschanische Kulturdelegation in den von 
				bulgarischen Türken bewohnten Gebieten auf. Auch der türkische 
				Dichter Nazım Hikmet besuchte auf dem Weg nach Moskau Bulgarien, 
				wo er die Muslime zum Verbleiben aufforderte, indem er über die 
				„Wahrheit vom Leben in der Türkei“ sprach. So bereiteten die 
				kommunistischen Machthaber noch zu Zeiten des im Höhepunkts der 
				Auswanderungskampagne den Boden für die Einführung der 
				sowjetischen Nationalitätenpolitik. Am 26 April 1951 empfahl das 
				ZK der BKP eine vermehrte Aufnahme von Türken in die Partei. Sie 
				sollten im „patriotischen Geist“ erzogen werden, um „sich als 
				Bürger von Bulgarien zu fühlen und zu begreifen, dass sie selbst 
				aktive Erbauer des Sozialismus und ihres eigenen Glücks“ seien.
				
				Im Mai desselben 
				Jahres erschienen in der bulgarischen Presse Berichte über die 
				Rückkehr mancher enttäuschter Auswanderer, und seit dem August 
				1951 zeichneten sich die Umrisse der neuen Minderheitenpolitik, 
				die auf die Integrieren der türkischen Bevölkerung in das 
				alltägliche Leben des Landes ausgerichtet war, immer deutlicher 
				ab. Gleichzeitig sank auch die Zahl der Auswanderer. Nachdem 
				schließlich die Türkei zum zweiten Mal ihre Grenze geschlossen 
				hatte, wurde in Sofia die Politik der Emigration bulgarischer 
				Türken endgültig fallengelassen. 
				
				          Die Zeit 
				Červenkovs am Ende der „Stalin-Ära“ nimmt in der Geschichte der 
				bulgarischen Türken einen besonderen Platz ein. Parallel zu der 
				verstärkten Sowjetisierung des Landes wurde in der ersten Hälfte 
				der fünfziger Jahre auch eine Politik der Erweiterung der Rechte 
				der türkischen Minderheit in den Bereichen Kultur und Ausbildung 
				betrieben. Im gewissen Sinne war dies eine Fortsetzung der 
				sogenannten „Dimitrovschen Periode“, doch während man damals bei 
				der Überwindung ethnischer Probleme hauptsächlich von den 
				bulgarischen Traditionen, dem Streben nach dem Aufbau einer 
				„volksdemokratischen“ Regierungsform und dem Wunschtraum einer 
				Balkanföderation ausgegangen war, so wurde nun die sowjetische 
				„Erfahrung“ in die Verhältnisse eines (mono)nationalen Staates 
				eingebracht. Daher könnte man die Zeitspanne zwischen 1951 und 
				1958 als eine besondere Etappe in der Geschichte der türkischen 
				Minderheit bezeichnen. In diesen Jahren wurden viele türkische 
				Schulen gebaut, neue türkische Zeitungen, Bibliotheken und 
				Theater gegründet, die geistliche und wirtschaftliche 
				Entwicklung der muslimischen Bevölkerung sowie die Formierung 
				einer türkischen Intelligenz wurden angeregt und gefördert, doch 
				all dies im Rahmen der kommunistischen Ideologie und des 
				auferlegten sowjetischen Gesellschaftsmodells. 
				
				          Noch im Jahr 
				1951 wurden türkische Theater in Chaskovo und Kolarovgrad [Šumen], 
				später in Kărdžali, 
				Razgrad und Ruse (1954) u. a. eröffnet. Zu den bereits 
				vorhandenen türkischen Zentralpresse kamen neue Editionen der 
				BKP-Bezirkskomitees von Kolarovgrad, Chaskovo, Ruse und Stalin 
				[Varna]. Die meisten davon erschienen zuerst als 
				türkischsprachige Beilagen zu entsprechenden bulgarischen 
				Zeitungen, die sich dann zu gesonderten türkische Periodika 
				entwickelten, so z. B. 
				„Kolarovgrad 
				savaşı“ 
				[Kolarovgrader Kampf, Šumen 1951-1956], 
				„Rodop 
				mücadelesi“ 
				[Rhodopenkampf, Chaskovo 1951-1959], 
				„Tuna 
				gerçeği“ 
				[Donauer Wahrheit, Ruse 1955-1959], 
				„Stalin 
				bayrağı“ 
				[Staliner Fahne, Varna 1956-1959] usw.  Ab dem Jahr 1954 begann 
				man auch eine türkische Zeitschrift 
				„Yeni 
				hayat“ 
				[Neues Leben, Sofia] herauszugeben. 
				
				          Zum Bau 
				türkischer Schulen: Gab es im Jahr 1952 schon 1020 Haupt- und 
				drei pädagogische Schulen, die von etwa 97% aller türkischen 
				Kinder besucht wurden, so stieg die Zahl dieser Schulen im 
				nächsten Schuljahr 1952/3 auf 1054 und erreichte im Jahr 1957 
				die Zahl von 1149 Lehranstalten. Darin wurde in der 
				Muttersprache unterrichtet – das Bulgarische war nur mit ein 
				paar Stunden vertreten –, wobei die Schuler auch Kenntnisse über 
				die türkische Geschichte und türkische Literatur vermittelt 
				bekamen. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Errichtung von 
				türkischen Mittelschulen
				
				und pädagogischen 
				Instituten geschenkt. Im Jahr 1953 waren schon vier türkische 
				Gymnasien, drei türkische Abteilungen an bulgarischen 
				Mittelschulen und drei Institute für die Ausbildung türkischer 
				Lehrer in Betrieb.  Für den Ausbau des türkischen Bildungswesens 
				in Bulgarien berief man eigens dafür geschulte sowjetische 
				Fachleute an die verantwortlichen Stellen. 
				
				Anfangs wurden 
				türkische Jugendliche zum Studium an Hochschulen in die 
				Sowjetunion (hauptsächlich nach 
				
				Aserbaidschan) 
				geschickt, doch schon im Jahr 1954 gründete man einen Lehrstuhl 
				für „Türkische Philologie“ an der Sofioter Universität, womit 
				endlich die Voraussetzungen für eine institutionalisierte 
				Entwicklung der Orientalistik in Bulgarien geschaffen wurden.
				
				Auf diese Weise 
				bekam die türkische Jugend weit bessere Bildungsmöglichkeiten. 
				Allerdings richteten sich die Lehrprogramme immer stärker nach 
				dem ideologischen Hauptziel, nämlich die jungen Türken in die 
				kommunistischen Ideale einzuführen und sie nach sowjetischem 
				Muster zu erziehen. 
				
				          
				Gleichzeitig führte man eine Reihe von Verbesserungen im 
				sozialen und ökonomischen Bereich durch. In den von Türken 
				bewohnten Gebieten begann man Industriebetriebe, Krankenhäuser 
				und neue Straßen zu bauen sowie den Handel mit staatlicher Hilfe 
				zu fördern. Es gab auch viele Maßnahmen, um die 
				gesellschaftlich-politische Einbeziehung der Bevölkerung durch 
				deren Eingliederung in die Vaterländische Front und die 
				BKP-Organisationen zu erzielen. Man organisierte 
				Haushaltslehrgänge für Frauen, Speziallehrgänge für 
				Krankenschwestern, Ausbildungskurse für Traktoristen und 
				Brigadiere; man führte regelmäßige Versammlungen mit Vorträgen 
				durch, worauf – wie nicht anders erwartet – der Schwerpunkt auf 
				„ideologische Aufklärung“ lag. Bei den Kommunalwahlen des Jahres 
				1952 wurden z. B. 3291 bulgarische Türken gewählt, darunter 284 
				Frauen. Zur gleichen Zeit waren etwa 4000 Angehörige der 
				Minderheit Mitglieder der BKP oder der Vaterländischen Front und 
				über 18.000 Türken hatten verschiedene verantwortliche Stellen 
				inne. 
				
				          Die 
				verbesserten Lebensbedingungen und die Ausweitung der 
				Minderheitenrechte spiegelten sich im absoluten Zuwachs der 
				türkischen Bevölkerung wider. Die Volkszählung des Jahres 1956 
				registrierte zwar nur 656.025 bulgarische Türken (8,74% der 
				Gesamtbevölkerung), das bedeutet also eine Abnahme von 19.475 
				Menschen im Vergleich zum Jahr 1946, wenn man aber auch die 
				Anzahl der zwischen 1948 und 1951 emigrierten Muslime 
				berücksichtigt, so wird der reale Zuwachs unter den Türken über 
				130.000 Menschen betragen haben.
				 
				
				          Ob schon zu 
				dieser Zeit der demographische Aspekt bei der Formierung der 
				Minderheitenpolitik eine Rolle gespielt hat, läßt sich heute 
				schwer ermitteln. Bekannt ist, dass er sich erst unter Todor 
				Žikov, in den siebziger und achtziger Jahren, zu einem wichtigen 
				Faktor entwickelte, als die Zahl der bulgarischen Türken in etwa 
				einen zehnprozentigen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachte. 
				Unklar ist auch, inwieweit die bis zum Jahr 1956 vertretene 
				Parteilinie zu einer „Erweckung des türkischen Nationalismus“ 
				beigetragen hat. Mit diesem Argument wurde später die Wende im 
				Regierungskurs unter Živkov häufig begründet. Gewiß haben die 
				kommunistischen Machthaber die Entwicklung der Minderheiten im 
				ersten Jahrzehnt nach dem Krieg gefördert und so zur 
				Herausbildung einer neuen türkischen Intelligenz beigetragen. Es 
				wäre aber falsch zu behaupten, dass diese Intelligenz das 
				Bulgarische nicht beherrscht hätte, da ihre hervorragendsten 
				Vertreter auch heute noch in das gesellschaftlich-politische 
				Leben des Landes bestens integriert sind. Wahr ist, dass sowohl 
				unter Dimitrov als auch unter Červenkov die Lösung des 
				„Türkenproblems“ im Sinne der stalinistischen 
				Nationalitätenpolitik versucht wurde. Wenn dies alles in den 
				vierziger Jahren in Anbetracht der erwarteten Gründung einer 
				sozialistischen Balkanföderation als gerechtfertigt erschien, so 
				führte die Applikation des sowjetischen Modells auf die völlig 
				unterschiedlichen Verhältnisse eines (mono)nationalen Staates 
				schließlich zu einem unvermeidbaren Widerspruch zwischen den 
				damaligen Interessen der bulgarischen nationalen Sicherheit und 
				dem Selbstbestimmungsrecht der türkischen Minderheit. Eben 
				deshalb kam es am Ende der Stalin-Ära zu einer Wende auch in der 
				Minderheitenpolitik, die sich nun auf die allmähliche, aber 
				immer umfassendere Einbeziehung der Türken in die Nation der 
				Bulgaren richtete. Der neue Kurs widersprach aber keinesfalls 
				der sowjetischen nationalen Doktrin. Schon Lenin hatte 
				verkündigt, dass alle Nationen im Kommunismus zu einer 
				Weltnation mit einer gemeinsamen Sprache zusammenfließen sollen. 
				Ab dem Jahre 1929 sprach auch Stalin vom neuen Typus der 
				„sozialistischen Nation“. Später vertrat Chruščev die These von 
				einer beschleunigten Annäherung der Nationalitäten in der UdSSR 
				bis zu ihrer vollständigen Vereinigung in einer russifizierten 
				Sowjetnation. Es ist daher kaum verwunderlich, dass der Adept 
				seiner Politik, Todor Živkov, die neuen sowjetischen Ansichten 
				zur Nationalfrage konsequent anwendete.  
				
				  
				
				Die Ära Živkov 
				(1956-1989) 
				
				  
				
				          Die 
				Richtungsänderung in der Nationalitätenpolitik begann mit dem 
				Aprilplenum des ZK der BKP im Jahre 1956, das von den 
				Beschlüssen des 20. Parteitages der KPdSU beeinflußt war. Noch 
				im selben Jahr wurden die Grundumrisse der neuen 
				Minderheitenpolitik entworfen. Ihre Hauptprinzipien lauteten wie 
				folgt: 1. Abgrenzung vom föderativen Modell der UdSSR und 
				Jugoslawiens, mit der Begründung, Bulgarien sei „kein 
				multinationaler Staat“ (damit auch die Absage an den bisherigen 
				Kurs in bezug auf die Integration der Minderheiten), und 2., als 
				neue Position: „die bulgarischen Türken stellen einen 
				untrennbaren Bestandteil des bulgarischen Volkes dar“ – der 
				Beginn einer Politik der Nivellierung von Unterschieden im 
				ethnischen und kulturellen Bereich. Hätte man bis dahin die 
				Kulturautonomie der Türken gefördert, wobei man die nationale 
				Identität vom religiösen Moment zu trennen versuchte, so begann 
				mit der Machtergreifung Živkovs den umgekehrte Prozeß der 
				allmählichen Einschränkung der Minderheitenrechte, um den 
				türkischen Bevölkerungsteil auch durch restriktive Maßnahmen in 
				die bulgarische Nation einzugliedern. Die Živkov-Ära war 
				charakterisiert durch eine partielle Rückkehr zu den alten 
				Traditionen, aber auch durch eine verstärkte Abhängigkeit 
				Bulgariens vom „großen Bruder“ in Moskau. Im Einklang mit den 
				Veränderungen an der Spitze der bulgarischen (bzw. sowjetischen) 
				Staats- und Parteiführung kann die folgende Epoche bis zum 
				Zerfall des kommunistischen Systems im Jahre 1989 im Bereich der 
				Nationalitätenpolitik in drei Abschnitte mit weiteren 
				Differenzierugen eingeteilt werden. 
				
				  
				
				1. 
				1956-1974. Den 
				Zeitabschnitt bis zur Mitte der siebziger Jahre kennzeichnen 
				zahlreiche Plenarsitzungen des ZK über Fragen der bulgarischen 
				„Türkenpolitik“, wobei – im Namen der sozialen und ökonomischen 
				Integration – eine zunehmende Reduktion des türkischsprachigen 
				Unterrichts und vieler anderer Minderheitenrechte erfolgte. Es 
				kam zu Namensänderungen unter den Pomaken und Roma-Muslimen, 
				während die türkische Bevölkerung einem starken antireligiösen 
				Druck ausgesetzt war. 
				
				  
				
				1.1. 
				
				1956-1964. Dies 
				ist die Epoche Nikita Chruščevs. Unter dem Zeichen der „Entstalinisierung“ 
				erfolgten auch in der bulgarischen Minderheitenpolitik eine 
				Wende und die Aufnahme des Kurses einer neuen Art der 
				Integration der türkischen Bevölkerung. Im Einklang mit den 
				neuen sowjetischen Ansichten über die allseitige Annäherung der 
				Nationalitäten in der UdSSR bis zu ihrer Verschmelzung in einer 
				„sozialistischen Sowjetnation“ erschien in Bulgarien der 
				entsprechende Begriff von der „sozialistischen bulgarischen 
				Nation“, die auch die „sozialistischen nationalen Minderheiten“ 
				in sich einschließen sollte. So wurden die bulgarischen Türken 
				zu einem „untrennbaren Teil des bulgarischen Volkes“, was breite 
				Bestrebungen zur Folge hatte, die Möglichkeiten ihrer nationalen 
				Identifikation zu beseitigen. Bald wurden die türkischen und 
				bulgarischen Schulen vereinigt und der türkischsprachige 
				Unterricht auf fakultative Stunden beschränkt. Gegen Ende der 
				fünfziger Jahre verschwanden vorläufig auch die 
				Regionalzeitungen „Savaş“, „Rodop mücadelesi“, „Stalin bayrağı“, 
				„Tuna gerçeği“ (alle bis zum Jahr 1959) sowie die Ausgaben für 
				Kinder „Eylülcü çocuk“ und „Piyoner“ (bis 1960). Übrig blieben 
				nur mehr einige Rundfunksendungen und ein paar zentrale 
				periodische Druckschriften in türkischer Sprache. 1964 unternahm 
				man auch vereinzelte Versuche, die muslimischen Namen unter den 
				bulgarischsprachigen Muslimen zu beseitigen, doch musste das 
				Regime infolge des starken Widerstandes diese Aktion einstellen. 
				
				  
				
				1.2. 
				1964-1974. Die Ära 
				Leonid Brežnevs wurde von einer Intensivierung der Integration 
				begleitet, wobei nun auch der Trend zur Assimilation spürbar 
				wurde. Man suchte eine Balance zwischen der Einbeziehung der 
				türkischen Bevölkerung und der „Befreiung“ von ihrem 
				unzuverlässigen Teil durch Auswanderung zu erreichen. 
				
				          Nachdem 
				Chruščev 
				im Oktober 1964 als Generalsekretär abgesetzt worden war und der 
				für die achtziger Jahre verkündete „Eintritt in den Kommunismus“ 
				auf ungewisse Zeit verschoben werden mußte, stagnierte zunächst 
				auch der nationale Integrationsprozeß in Bulgarien. Es 
				erscheinen wieder neue türkische Lokalzeitungen, wie z. B. „Komunizm 
				bayrağı“ [Kommunistische Fahne, Tărgovište 
				1964 f.], „Dostluk“ [Freundschaft, Razgrad 1964 f.], „Ziya“ 
				[Licht, Silistra 1965 f.], „Halk davası“ [Volkssache, Varna, 
				1965 f.], „Kolarovgrad savaşı“ [Kolarovgrader Kampf, Kolarovgrad 
				1965], eine Zeitung, die ab 1966 unter dem Titel „Ziya“ [Licht, 
				Šumen] herausgegeben wurde. In den Schulen lernte man weiter 
				Türkisch. In dieser Sprache wurden sowohl Lehrbücher als auch 
				ausgewählte Werke der Belletristik veröffentlicht. Die 
				Rundfunkstationen in Sofia, Šumen und Kărdžali 
				sendeten  spezielle Programme auf Türkisch; es entwickelte sich 
				auch die „Türkische Philologie“ an der Sofioter Universität, die 
				nun auch den bulgarischen Studenten zugänglich gemacht wurde. 
				Mit der Abschaffung von Lehrfächern, wie z. B. der türkischen 
				Volkskunde oder der Dialektologie,  zeigten sich jedoch bereits 
				bestimmte Tendenzen in der Umsetzung der Minderheitenpolitik. 
				
				          Die 
				Volkszählung des Jahres 1965 ergab die Zahl von 746.755 
				bulgarischen Türken, was 9,19% der Gesamtbevölkerung entsprach,
				
				also neuerlich 
				einen Zuwachs im Vergleich zum Zensus des Jahres 1956. Dies 
				veranlaßte die Regierung erneut, nach der Auswanderung als 
				geeignetem Mittel für die Lösung des „Türkenproblems“ zu 
				greifen. Im Jahr 1968 wurde zwischen Sofia und Ankara ein 
				Abkommen über Familienzusammenführung geschlossen, das etwa 
				30.000 Menschen umfassen sollte. Doch die 81.299 
				Aussiedlungsanträge übertrafen bei weitem die Erwartungen. Der 
				großen Mehrzahl der Türken, die im Lande bleiben wollten, drohte 
				ein anderes Schicksal. Am 25. Februar 1969 faßte das Politbüro 
				den Beschluß über die „Beschleunigung des natürlichen Prozesses 
				zur Überwindung der ethnischen Unterschiede“, und am 19. April 
				1969 einen weiteren über den „kulturellen Aufschwung der 
				werktätigen Türken“.
				
				Dementsprechend 
				wurde auch das Grundgesetz geändert. Die neue „Živkovsche“ 
				Verfassung von 1971 erkannte keine nationale Minderheiten mehr 
				an. Sie räumte in Art. 45, Abs. 7 den „Bürgern nichtbulgarischer 
				Abstammung“ lediglich das individuelle Recht ein, „auch ihre 
				eigene Sprache“ zu erlernen. Gleichzeitig hat die von Brežnev 
				lancierte These von einem „einheitlichen Sowjetvolk“ (1971) ihre 
				Reflexion in dem zwischen 1971 und 1973 in Bulgarien 
				eingeführten Begriff „einheitliche sozialistische Nation 
				der Bulgaren“ gefunden. Der Weg dorthin führte über die 
				„Bulgarisierung“ der Namen der gesamten bulgarisch-muslimischen 
				Bevölkerung, wobei Unruhen in den Gebieten von Pazardžik, 
				Stara Zagora, Smoljan, Blagoevgrad usw. ausbrachen. Auch im Jahr 
				1974 kam es zu Zusammenstößen, als alle Moscheen mit Ausnahme 
				jener von Sofia vorläufig geschlossen wurden.  
				
				  
				
				2. 
				1974-1984. Diese 
				Periode, vom politishen Aufstieg der 
				Tochter Todor Živkovs, 
				Ljudmila Živkova, gekennzeichnet, begann mit dem Plenum des ZK 
				vom 7.–8. Februar 1974, auf dem Aleksandãr 
				Lilov einen Vortrag über die Verstärkung der ideologischen 
				Arbeit hielt. Dies gab den Anstoß zur beschleunigten Errichtung 
				einer „sozialistischen Einheitsnation“. Lilovs Referat plädierte 
				für die Ausarbeitung einer „Gesamtkonzeption eines Systems der 
				Feste des bulgarischen Volkes“ und sprach von der Notwendigkeit 
				der „nationalen Besinnung und patriotischen Erziehung“ der 
				bulgarischen Muslime sowie von der vollständigen 
				„ideologisch-politischen Einbeziehung der Bevölkerung türkischer 
				Herkunft“. Die Propaganda wurde unter anderem vor die Aufgabe 
				gestellt, „auch auf die Psyche der Persönlichkeit“ (sic!) 
				einzuwirken, um „bestimmte Emotionen, Stimmungen und Wünsche“ zu 
				erwecken. Beim Staatsrat der Republik wurde ein „Rat zur 
				Entwicklung der geistigen Werte“ unter Ljudmila Živkova gegründet, 
				dessen Vizepräsident, Şukri Tahirov, ebenso wie andere türkische 
				Protagonisten aktiv bei der Errichtung eines „Systems der 
				sozialistischen Feste und Bräuche“ und bei der Beseitigung des „Ethnozentrismus“ 
				der türkischen Bevölkerung unter Berücksichtigung ihrer Aufnahme 
				in die „sozialistischen Einheitsnation“ mitwirkten. Mit der 
				Schließung der Moscheen im Jahre 1974 begann eine breite 
				atheistische Offensive mit dem Ziel, die religiösen Rituale 
				durch solche ethnisch-neutralen Charakters zu ersetzen. Man 
				machte Front gegen muslimischen Traditionen und die 
				traditionelle Bekleidung, darüber hinaus erschienen auch 
				Veröffentlichungen über die bulgarische Abstammung der 
				türkischsprachigen Muslime. Im Jahr 1977 behauptete man, 
				„Bulgarien sei fast gänzlich einem ethnischen Typ zugehörig und 
				laufe auf eine vollständige Homogenität hinaus“. Damals wurde 
				auch das bulgarisch-türkische Zusatzprotokoll unterzeichnet, mit 
				dem eine Aussiedlung von weiteren 62.000 bulgarischen Türken 
				vereinbart wurde. Somit endete die schon zehn Jahre dauernde 
				„Familienzusammenführung“, in deren Verlauf sich etwa 130.000 
				Menschen in der Türkei niederließen.
				
				Im Jahr darauf 
				nahm man auch keine weiteren Studenten für das Fachgebiet 
				„Turkologie“ mehr auf, später wurden die türkischsprachigen 
				Rundfunksendungen reduziert und die wenigen verbliebenen 
				türkischen Zeitungen begannen nun „zweisprachig“ zu erscheinen, 
				1979 schließlich erklärte Todor Živkov die nationale Frage im 
				Lande für endgültig gelöst. So wurden alle Voraussetzungen für 
				die letzte „Integrationsphase“ geschaffen, die Ende 1984 mit dem 
				Angriff auf die türkischen Namen begann.  
				
				  
				
				3. 
				1984-1989. In diesen 
				Zeitabschnitt fällt der sogenannte „Prozeß der Wiedergeburt, der 
				mit massenhaften Namensänderungen der bulgarischen Türken begann 
				und mit weiteren Maßnahmen zur gewaltsamen Einschränkung ihrer 
				nationalen Identität seinen weiteren Verlauf nahm. So wurden die 
				türkischen Zeitungen und Rundfunksendungen endgültig verboten, 
				auch das Tragen der muslimischen Frauentracht, der offene 
				Gebrauch des Türkischen und die rituelle Beschneidung sowie 
				andere islamische religiöse Bräuche untersagt. Für viele 
				Beobachter von außen sowie für die Mehrheit der Bulgaren kam der 
				Versuch einer vollständigen Assimilierung der Minderheit ganz 
				unerwartet. Bis dahin hatte der bisherige Integrationskurs gute 
				Ergebnisse gezeigt. Der materielle Wohlstand der bulgarischen 
				Türken hatte sich erhöht, und in kultureller Hinsicht hatten sie 
				das durchschnittliche Bildungsniveau der Bevölkerung in der 
				Türkei weit überholt. Sieht man einmal vom ideologischen Druck 
				ab, dem ja die gesamte Bevölkerung Bulgariens ausgesetzt war, so 
				hatten die Türken im Lande definitiv bessere Perspektiven als in 
				der vorkommunistischen Zeit nach 1934. Warum also hatte die 
				Parteispitze den Entschluß gefaßt, die türkische Frage auf solch 
				drastische Weise zu lösen?  Die Erklärung dafür muß man wohl in 
				einem Komplex von Ursachen und Umständen suchen, die schließlich 
				zur Aktion von 1984-85 geführt haben. 
				
				          Sicherlich 
				haben die Befürchtungen über die Auswirkungen der Propaganda von 
				seitens Ankaras, die der feindseligen Stimmung im Lande Nahrung 
				gab, eine gewisse Rolle gespielt. Diese Propaganda wirkte als 
				Hemmschuh bei der Säkularisierung der Muslime und behinderte 
				somit die Einbeziehung der Türken in die sozialistische 
				Gesellschaft, was wiederum die begonnene Modernisierung 
				Bulgariens behinderte. Sehr oft wurde in diesem Zusammenhang 
				auch die Zypern-Frage erwähnt, doch erscheint der Gedanke an die 
				Gefahr einer Teilung wie in Zypern als viel zu spekulativ, da in 
				einer Zeit der Konfrontation der Blöcke eine solche Entwicklung 
				als höchst unwahrscheinlich angesehen werden muß. Weitaus 
				wichtiger mögen wohl die demographisch bedingten Erwägungen 
				gewesen sein. Durch die niedrige Geburtenrate unter den Bulgaren 
				bei gleichzeitig doppelt so hohem Zuwachs unter den Türken und 
				Roma zeichnete sich nach Meinung der Regierung eine ungünstige 
				Tendenz für das Volk der Bulgaren ab. Laut einiger 
				Presseberichte aus dem Jahr 1983 wuchs die Bevölkerung in den 
				Bezirken mit überwiegend türkischen Einwohnern sechsmal 
				schneller an als im bulgarischen Durchschnitt. Dies beunruhigte 
				so manchen um so mehr, als die Türken schon damals mehr als 10% 
				der Bevölkerung Bulgariens ausmachten und für Dezember 1985 eine 
				neue Volkszählung geplant war. Wohl auch deswegen wurden 
				1980-1985 die Personalausweise erneuert, wobei man über eine 
				viertel Million Roma unter neuen bulgarischen Namen 
				registrierte. In Anbetracht des bevorstehenden 100. Jubiläums 
				von der Vereinigung Bulgariens (1885) und des 110. Jahrestags 
				des April-Aufstandes (1876) erschien dies gemäß dem 
				ideologischen Plan als ein günstig ausgewählter Zeitpunkt zur 
				„Homogenisieren“ der bulgarischen Nation. 
				
				          Im Falle 
				der türkischen Minderheit war man vor die Frage gestellt, ob man 
				sie durch eine neuerliche Auswanderungsvereinbarung zahlenmäßig 
				reduzieren sollte oder ob vielleicht andere Lösungen zu suchen 
				wären, die das Anwachsen der muslimischen Bevölkerung und damit 
				gleichzeitig die Gefahr einer wie auch immer gearteten Autonomie 
				verhindern könnten. Offensichtlich wurden beide Möglichkeiten in 
				Erwägung gezogen. Nach Mitteilung des damaligen türkischen 
				Präsidenten Kenan Evren soll der bulgarische Staatschef Todor 
				Živkov 1982 an ihn die Frage nach den Aussichten einer 
				Fortsetzung der Emigration gerichtet haben.
				
				Vielleicht trug 
				die negative Antwort Evrens zur Entscheidungsfindung bei. 
				
				          Daß der 
				sogenannte „Prozeß der Wiedergeburt“ schon seit langem 
				vorbereitet worden war, ist aus der Untersuchung einer von 
				Aleksandăr Lilov geleiteten Expertengruppe im Jahre 1982 
				ersichtlich, die auch die möglichen negativen Folgen eines 
				solchen Unternehmens in Rechnung zog, und bereits 1978 erklärte 
				Şukri Tahirov ganz offen, dass der Prozeß der Annäherung und 
				Einbeziehung der bulgarischen Türken „das Verschwinden der 
				einzelnen (ethnischen u. a.) Besonderheiten“ zum Ziel habe, und 
				dass die Politik des „allmählichen Auslöschens der ethnischen 
				Differenzen“ letzten Endes zur „Formierung einer neuen 
				sozial-ethnischen Gemeinschaft“ führen solle. 
				
				Daraus ist klar 
				ersichtlich, in welche Richtung die bulgarische 
				Minderheitenpolitik gehen sollte. Später räumten manche Staats- 
				und Parteifunktionäre ein, dass „der Prozeß der Wiedergeburt“ 
				eigentlich schon unmittelbar nach dem April-Plenum 1956 begonnen 
				habe und sich in den sechziger und siebziger Jahren unter den 
				bulgarischen Muslimen verwirklichte, um sich dann „mit neuer 
				Kraft, spontan und umfassend“ unter den übrigen Muslimen 
				auszubreiten.  
				
				          Bei der 
				Errichtung der „sozialistischen Einheitsnation“ wäre man früher 
				oder später zur „Bulgarisierung“ der Türken geschritten. Dies um 
				so mehr, als die Umbenennung der Roma und Pomaken ohne besondere 
				Erschütterungen vonstatten gegangen war, weswegen die 
				Parteispitze auch hinsichtlich der türkischen Bevölkerung keine 
				besonderen Probleme erwartete. Trotz der Anpassung an die 
				politischen Veränderungen in Moskau hielt Živkov an der 
				sogenannten „April-Linie“ der Partei fest. So blieben z. B. nach 
				der Absetzung Chruščevs die Direktiven des 8. Kongresses der BKP 
				zur Entwicklung des Landes bis zum Jahr 1980 in Kraft, obwohl zu 
				diesem Zeitpunkt schon die „Errichtung der materiell-technischen 
				Basis des Kommunismus“ hätte beginnen sollen. In den achtziger 
				Jahren scheint auch die Politik zur Integration der Minderheiten 
				auf dieses Ziel hin orientiert gewesen zu sein, denn man 
				erwartete offensichtlich, dass dann auch die letzten 
				Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen der neuen 
				„sozialistischen Nation“ beseitigt sein würden. 
				
				          Andererseits 
				pflegte man fast überall auf dem Balkan die Minoritätenfragen 
				auf ähnlich drastische Art und Weise zu regeln. So erhielten die 
				Familiennamen der Bulgaren in Jugoslawien serbische Endungen und 
				die Bulgaren wurden offiziell als Serben, Makedonier oder sogar 
				als „Šopen“ 
				bezeichnet, während die Namen der Slawen in Griechenland 
				hellenisiert wurden, so daß man von „slawophonen Griechen“ 
				sprach.
				
				Auch in der Türkei 
				selbst existierte die Praxis einer obligatorischen Änderung der 
				Familiennamen; gemäß Verfassung wurden dort alle Untertanen zu „Türken“ 
				erklärt. Man erlaubte die Verbreitung von 
				Druckerzeugnissen in keiner anderen Sprache als der türkischen, 
				und mit dem Parteigesetz vom Jahr 1983 war die Pflege der 
				Identität von Minoritäten mittels nichttürkischer Sprachen und 
				Kulturen verboten. Ähnlich wie im Bulgarien wurden auch hier 
				seit 1975 keine statistischen Daten mehr über die ethnischen und 
				religiösen Minderheiten publiziert. So verwandelten sich mit der 
				Zeit in den offiziellen Veröffentlichungen beispielsweise die 
				Lasen in „Küstentürken“; die Araber wurden zu „Türken arabischer 
				Zunge“, und die Kurden erklärte man für „Gebiergstürken“, sogar 
				mit einer entsprechenden türkischen Etymologie des Ethnonyms („Kürd“ 
				aus türkisch „kurt“, d. h. „Wolf“). Ähnlich versuchte nun auch 
				die kommunistische Spitze Bulgariens bei der Lösung der 
				„Türkenfrage“ vorzugehen. 
				
				          Man darf 
				darüber hinaus nicht außer Acht lassen, dass gegen Ende der 
				Brežnev-Ära in diese Richtung zielende Tendenzen auch in der 
				Sowjetunion existierten. Anläßlich der Diskussion über das 
				Projekt einer neuen Verfassung im Jahre 1977 gab es 
				beispielsweise den Vorschlag, den Begriff „einheitliche Nation“ 
				statt „einheitliches Sowjetvolk“ einzuführen und die 
				Unionsrepubliken aufzulösen. Brežnev kritisierte zwar einerseits 
				diese künstliche Beschleunigung der Integration, andererseits 
				verhinderte er jedoch auch Versuche, diesen Prozeß aufzuhalten 
				und behauptete öfters (ähnlich wie Živkov), dass die „nationale 
				Frage“ in der UdSSR endgültig gelöst sei. Auf der These des 
				„einheitlichen Sowjetvolkes“ beharrte auch Jurij Andropov. Ende 
				1982 sprach auch er wieder vom ideologischen Ziel, durch die 
				wirtschaftliche Integration und Russifizierung eine sowjetische 
				Einheitsnation zu schaffen, in der alle ethnokulturellen 
				Unterschiede verschwinden sollten. Kurz danach wurde der Bericht 
				der Expertengruppe Lilovs ausgearbeitet. 
				
				          Diese 
				Übereinstimmungen sind nicht zufällig. Das Forcieren des 
				Assimilationskurses gerade zur Zeit Jurij Andropovs und 
				Konstantin Černenkos, als die Krise des Sowjetregimes von einer 
				Verschärfung der internationalen Spannungen begleitet wurde, 
				zeigt deutlich, wie groß die Abhängigkeit Bulgariens von der 
				Sowjetunion war.  Und wenn es keine Beweise für irgendeine 
				russische Beteiligung bei der Durchführung des „Prozesses der 
				Wiedergeburt“ gibt, sind seine Voraussetzungen eigentlich im 
				ideologischen Diktat Moskaus begründet, was auch den Kurs der 
				„allseitigen Annäherung zwischen Bulgarien und der UdSSR“  
				bedingte.  
				
				          Trotzdem 
				kam die Aktion der Namensänderung sehr überraschend. Nichts 
				deutete im Jahr 1984 auf die bevorstehenden Ereignisse hin. In 
				den Massenmedien und in der wissenschaftlichen Literatur 
				benutzte man den Ausdruck ”bulgarische Türken” weiter, woraus 
				ersichtlich ist, dass der Entschluß zum sogenannten ”Prozeß der 
				Wiedergeburt” nur der Parteispitze bekannt war und die 
				offizielle Begründung, es gäbe keine türkische Bevölkerung im 
				Lande, erst später ausgearbeitet wurde. Am 8. Mai 1984 wurde im 
				Politbüro ”Über die weitere Vereinigung und Einbeziehung der 
				bulgarischen Türken in die Sache des Sozialismus, in die Politik 
				der BKP” referiert. Auf dieser Sitzung erinnerte Živkov, daß die 
				ethnische Gruppe der Türken schon sehr zahlreich geworden sei 
				und man offenbar auch künftig mit Versuchen zu ihrer 
				Destabilisierung zu rechnen habe. Trotzdem betonte er, dass ”wir 
				einen großen politischen Fehler begehen würden, falls man nun 
				den bulgarischen Türken zu beweisen begänne, daß sie eigentlich 
				ihrer Ursprung nach zur Zeit des Osmanenjochs turkisierte 
				Bulgaren seien“.
				
				Später jedoch 
				vertrat man genau diese These.  
				
				          Im Juni 
				1984 mehrten sich die Fälle, in denen Angehörige der Minderheit 
				mit den neuen Personalausweise auch neue bulgarische Namen 
				erhielten. Es handelte sich vor allem um die schon begonnene 
				”Rebulgarisierung” pomakischer Frauen und Kinder aus gemischten 
				Ehen, doch rief dieses Vorgehen den Widerstand der Betroffenen 
				hervor. Am 30. August 1984, dem Vorabend des Nationalfeiertags 
				Bulgariens, als man den 40. Jahrestag der ”Sozialistischen 
				Revolution” vom 9. September 1944 vorbereitete, explodierte auf 
				dem Parkplatz des Flughafens von Varna eine Bombe, die zwei 
				Frauen verwundete. Eine halbe Stunde später erfolgte eine 
				weitere Explosion im Warteraum des Bahnhofs von Plovdiv – ein 
				Mensch starb, 44 Personen wurden verletzt.
				
				Einigen westlichen 
				Nachrichtenagenturen zufolge hatte man zu eben dieser Zeit in 
				Plovdiv und Varna den Staatschef Živkov erwartet. Offensichtlich 
				waren ähnliche Terrorakte auch in Burgas, Ruse, Šumen und Tărgovište 
				geplant.
				
				Wenig später 
				entdeckten die Sicherheitsorgane in einem Bauernhaus in der 
				Umgebung von Varna ein ganzes Waffendepot. Doch die Vermutungen 
				Georgi Slavovs, dass es sich in diesem Fall um eine Inszenierung 
				seitens der Staatssicherheit gehandelt hätte, bestätigte sich 
				nicht.
				
				Schon damals 
				vermutete man eine ”türkische Spur” in den Bombenangriffen,
				
				und später wurden 
				die Täter dieser und auch anderer Terrorakte
				
				festgenommen. 
				
				          Dies alles 
				beschleunigte wohl den Beginn des „Prozesses der Wiedergeburt“, 
				und damit sollte sich auch schon bald das Schicksal der 
				türkischen Minderheit entschieden. Die Kampagne gegen die 
				Minderheit selbst begann um Weihnachten – zuerst in den Bezirken 
				von Kărdžali 
				und Chaskovo, dann aber auch in anderen Teilen des Landes. Ihren 
				Ausgang nahm sie in den östlichen Rhodopen und breitete sich 
				dann in Mittel- und Nordostbulgarien aus, um schließlich alle 
				von Türken bewohnten Ortschaften einzuschließen. Die Aktion lief 
				fast überall ähnlich, was auf ein vorbereitetes Szenario 
				hindeutete. In letzter Minute hatte man die örtlichen 
				Parteiaktivisten informiert, die die notwendige Unterstützung 
				gewähren sollten, dann sperrten Sicherheitskräfte die 
				entsprechenden Dörfer ab. Telefonleitungen wurden unterbrochen 
				und Personen, bei denen sich eine Waffe fand, oder die als 
				vermutete Mitglieder illegaler Organisationen galten, wurden 
				festgenommen.
				
				Den anderen 
				Einwohnern wurden die Identitätsurkunden abgenommen und sie 
				waren gezwungen, Deklarationen zu unterschreiben, in denen sie 
				versicherten, keine Verwandte in der Türkei zu haben, nicht 
				auswandern zu wollen und freiwillig und auf eigenen Wunsch um 
				die Änderung ihrer ”arabisch-türkischen” Namen anzusuchen.
				 
				
				          Die 
				administrative Willkür, die von mehreren Gewalttaten begleitet 
				wurde, stieß auf unerwarteten Widerstand. In vielen Ortschaften 
				kam es zu Zusammenstößen, bei denen Waffen zum Einsatz kamen. Es 
				gab Tote und Verwundete, eine große Zahl Türken wurde verhaftet. 
				Ausländischen Berichten zufolge seien in Momčilgrad im Gebiet 
				von Kărdžali, 
				sogar Panzer eingesetzt worden, wobei etwa 40 Menschen starben. 
				 
				
				          
				Amnesty International 
				führt das Beispiel des Dorfes Gorski Izvor an, in dem man von 
				sechs getöteten und 40 verletzten Bauern berichtete.
				
				Im 
				Südost-Bulgarien  habe man gegen die Demonstranten die 
				Spezialeinheiten der ”Roten Barette” eingesetzt, und bei den 
				Zusammenstößen seien bis zu 60 (nach türkischen Angaben sogar 
				800) Menschen getötet worden.
				
				Zu ähnlichen 
				Ereignissen ist es auch in anderen Orten gekommen. Nach 
				Berichten von Augenzeugen, die später in die Türkei gelangten, 
				erinnerte dies alles „an eine Schlacht”.
				
				Laut der erst in 
				den neunziger Jahren veröffentlichten bulgarischen Angaben 
				jedoch soll die Gesamtanzahl der Opfer bei weitem nicht so hoch 
				gewesen sein. Man erwähnt insgesamt sieben ”zufällig” zu Tode 
				gekommene Menschen, und zwar einen im Dorf Mogiljane, zwei im 
				Dorf Kajalovo, zwei im Dorf Gruevo und je einen in Kărdžali 
				sowie in Momčilgrad. 
				
				          Mitte 
				Januar 1985 fand im Plenum der Vortrag Georgi Atanasovs über die 
				Namensänderungen die volle Zustimmung des ZK der BKP. Zur selben 
				Zeit wurde von der Abteilung ”Ideologische Politik” beim 
				Zentralkomitee ein ausführliches Programm ”Über die entschiedene 
				Hebung des Niveaus der ideologischen Arbeit unter den Bulgaren 
				mit wiederhergestellten Namen” ausgearbeitet. Darin wurden 
				konkrete Maßnahmen zur weiteren Assimilierung der bulgarischen 
				Türken vorgesehen, so z. B. zur Durchsetzung der neuen Namen, 
				das Propagieren der These von der bulgarischen Herkunft der 
				türkischen Bevölkerung, über die verstärkte Erlernung des 
				Bulgarischen und dessen Verwendung in allen öffentlichen 
				Bereichen – für Parteimitglieder sogar in der Familie. Die 
				Einflüsse des Islam wollte man überwinden durch ”systematische 
				politische Arbeit mit den Imamen”, durch die Errichtung 
				gemeinsamer einheitlicher Friedhöfe, durch die Beseitigung der 
				Beschneidung und aller religiös bedingter Feste usw.
				
				Nach einer 
				Beratung des Zentralkomitees am 25. Jänner 1985 wurden ähnliche 
				Anweisungen zur Durchführung dieser Maßnahmen auch den örtlichen 
				Parteiorganisationen gegeben. Gleichzeitig wurden die 
				Namensänderungen durchgeführt: Bis zum 11. Februar hatten schon 
				etwa 814.000 Menschen neue bulgarische Namen erhalten, und auch 
				die ”übrigen” turkophonen Muslime mussten mit diesen Maßnahmen 
				rechnen. 
				
				          Sehr 
				rasch reagierte die Öffentlichkeit in der Türkei. Bereits am 21. 
				Jänner 1985 demonstrierte eine Gruppe von Frauen vor dem 
				Parlamentsgebäude in Ankara für die Autonomie der türkischen 
				Minderheit in Bulgarien. Die Regierung Turgut Özals gab sich 
				zunächst gelassen. Der Premierminister hielt sich mit einer 
				Stellungnahme zurück und betonte später, man könne vorläufig 
				nichts tun, weil sich Bulgarien und die Türkei in zwei 
				verschiedenen Militärblöcken befänden.
				
				Am 27. Jänner 
				forderte der Außenminister Vahit Halefoğlu die Bevölkerung auf, 
				Ruhe zu bewahren und erklärte, dass die Lösung des Problems den 
				bilateralen Beziehungen keinen Schaden zufügen solle.
				
				Die regierenden 
				Kreise der Türkei spielten mit dem Gedanken, Verhandlungen über 
				ein neues Aussiedlungsabkommen aufzunehmen.
				
				Am 20. Februar 
				wurde die Frage auch in der geschlossenen Sitzung des türkischen 
				Meclis diskutiert. Zwei Tage nach den Debatten händigte das 
				Außenministerium dem bulgarischen Botschafter eine offizielle 
				Protestnote aus, worin die Ende der Gewalt und ein 
				Ministertreffen zwecks Verhandlungen über ein neues 
				Auswanderungsabkommen gefordert wurden. Sofias Antwort war aber 
				negativ. Die Bulgarische Telegrafenagentur [Bălgarska Telegrafna 
				Agencija, BTA] bezeichnete die Note als eine ”Einmischung in die 
				inneren Angelegenheiten” und merkte dazu an, dass ein Land, 
				welches einst so brutal gegen Armenier und Griechen vorgegangen 
				sei und neuerdings seine eigene kurdische Minderheit zu 
				vernichten trachte, keinen Grund zu Ansprüchen habe und nicht 
				das Recht besitze, sich in rein bulgarische Probleme 
				einzumischen. Dies verursachte neue Aufregung: die Istanbuler 
				Zeitung „Güneş“ setzte das Bulgarien Živkovs mit dem Dritten 
				Reich Hitlers gleich; im Fernsehen sprach Mesut Yılmaz 
				von einem Genozid der bulgarischen Türken, und am 25. Februar 
				erklärte Turgut Özal in einer Rede in Erzurum, dass sein Land 
				bereit sei, neue Einwanderer aufzunehmen und den ”Landsleuten” 
				aus Bulgarien jeden nötigen Beistand zu leisten. 
				 
				
				          So trat die 
				bulgarisch-türkische Kontroverse in eine neue Phase ein. Nach 
				dem Zweiten Weltkrieg entwickelten beide Länder eine Haltung 
				gegenüber der türkischen Minderheit in Bulgarien, die von 
				Stereotypen geprägt war. Während die BKP diese in die 
				”sozialistische Modernisierung der Gesellschaft” einzubeziehen 
				versuchte –  daher der atheistische, ideologische, später aber 
				auch der assimilatorische Druck – , kämpfte die Türkei ihren 
				eigenen nationalen Interessen entsprechend um die Bewahrung der 
				religiösen und ethnischen Identität dieser Menschen. Nun schien 
				die Zeit gekommen zu sein, den langjährigen Streit ein für 
				allemal aus der Welt zu schaffen. Deshalb wurden von beiden 
				Seiten entsprechende Maßnahmen getroffen. Die Türkei wandte sich 
				ab 1985 verstärkt an die Weltöffentlichkeit und nutzte jede 
				Gelegenheit, um mittels internationaler Gremien Druck auf Sofia 
				auszuüben. Die kommunistische Führung Bulgariens entschied, sich 
				des ”türkischen Problems” auf eigene Art und Weise zu 
				entledigen. 
				
				          Ende Februar 
				1985 berief Živkov eine geschlossene Sitzung des Politbüros und 
				des Sekretariats des ZK der BKP ein, in der die offizielle 
				Position Bulgariens in dieser Angelegenheit präzisiert wurde. In 
				diesem Plenum kristallisierte sch heraus, dass die Kampagne 
				nicht zur Ausübung eines neuen ”Druck zur Auswanderung” diente, 
				sondern die Politik der BKP aus den sechziger und siebziger 
				Jahren zur Errichtung einer ”ethnisch monolithischen 
				bulgarischen Nation” wiederaufnahm. Bald wurden die 
				Parteiaktivisten und die Bezirkskomitees der BKP in den Gebieten 
				mit überwiegend türkischer Bevölkerung mit den Beschlüssen des 
				Plenums bekanntgemacht.  Mit 
				dieser Aufgabe waren die höchsten Staats- und Parteifunktionäre 
				beauftragt worden. Überall erläuterten sie die neue Parteilinie 
				und gaben Anweisungen zur Fortführung des ”Prozesses der 
				Wiedergebur”. In vielerlei Hinsicht waren ihre Reden nahezu 
				identisch, sie enthielten sogar vollständig gleichlautende 
				Abschnitte, was darauf hinweist, daß sie sich alle auf eine 
				gemeinsame Vorlage stützten. Offensichtlich hatte dazu der 
				Vortrag gedient, der auf dem Plenum von Februar 1985 als 
				programmatische Urkunde angenommen worden war.
				 
				
				          Die neu 
				formulierte bulgarische Position wurde in allen offiziellen 
				Deklarationen eifrig verteidigt. Gleichzeitig sollten die noch 
				verbliebenen Zeugnisse türkischer kultureller Identität 
				beseitigt werden. Die bis 29. Jänner 1985 zweisprachige Zeitung 
				„Yeni ışık“ [Neues Licht] ebenso wie die Zeitschrift „Yeni hayat“ 
				[Neues Leben] erschienen nunmehr auf Bulgarisch, und auch die 
				wenigen noch vorhandenen türkischsprachigen Rundfunksendungen 
				wurden vollständig eingestellt. Man forcierte die ”Beseitigung 
				der türkischen Spuren” in der bulgarischen Toponymen; die 
				Verwendung des Türkischen als Umgangssprache in der 
				Öffentlichkeit wurde verboten; ebenso wurden Maßnahmen zur 
				Beseitigung aller von der islamischen Tradition her stammenden 
				Merkmale, wie z. B. die Beschneidung, das Tragen von 
				Pluderhosen, die Beachtung bestimmter Bräuche usw. ergriffen. 
				Dies alles entsprach dem im Jänner 1985 verabschiedeten 
				ZK-Programm für die ideologische Arbeit unter der türkischen 
				Bevölkerung. Die konkreten Bulgarisierungsmaßnahmen wurden auf 
				den im März 1985 begonnenen Beratungen der Bezirkskomitees der 
				BKP mit den örtlichen Staats-, Partei-, Wirtschafts- und 
				Gesellschaftsorganen diskutiert. Auf diesen Sitzungen fand der 
				neue Kurs auch die volle Unterstützung vieler angesehenen 
				Minderheitenvertreter, und ihre Äußerungen sowie Materialien 
				über die bulgarische Herkunft der Bevölkerung einzelner 
				Ortschaften wurden in der regionalen Presse und in den 
				ehemaligen türkischen Ausgaben „Neues Licht“ und „Neues Leben“ 
				veröffentlicht. Mit der Zeit entfaltete sich eine breite 
				„Aufklärungskampagne”, an der sich fast alle örtlichen 
				Parteikomitees und Gemeindeämter, gesellschaftliche 
				Organisationen, Lehrer, Brigadiere, Betriebsleiter, Journalisten 
				u. a. beteiligten.  
				
				          Im Sommer 
				desselben Jahres wurden in zwei der Bezirken mit der größten 
				Anzahl türkischer Bevölkerung Plenarsitzungen der 
				Bezirkskomitees der BKP abgehalten, auf denen man die weiteren 
				Maßnahmen zur Intensivierung des ”Prozesses der Wiedergeburt” 
				präzisiere. Am 15. Mai erklärte der ZK-Sekretär Stojan Mihajlov 
				in Kărdžali 
				erneut die Parteilinie und sprach von der Notwendigkeit der 
				Bekämpfung sämtlicher Besonderheiten der traditionellen 
				muslimischen Lebensweise, während des ersten Sekretär des 
				Bezirks, Georgi Tanev, ausführlich  den Stand und die künftigen 
				Aufgaben der ideologischen Arbeit erörterte. Einen Monat später 
				wurde eine ähnliche Sitzung auch in Chaskovo in Anwesenheit des 
				Politbüromitgliedes Jordan Jotov abgehalten. Hier betonte der 
				erste Bezirkssekretär Stojan Stojanov, daß der ”Prozeß der 
				Wiedergeburt” bereits unmittelbar nach dem April-Plenum 1956 
				eingesetzt habe, und sprach sich für seine endgültige Vollendung 
				einschließlich ”strenger Strafmaßnahmen”
				
				aus. Dieser 
				Vortrag spiegelte eigentlich die schon im Februar 1974 von 
				Aleksandăr Lilov 
				formulierten und nun im Laufe des ”Prozesses der Wiedergeburt” 
				aktualisierten Hauptaufgaben der ideologischen Tätigkeit der BKP 
				wider. In der Folge wurde auf die Bevölkerung der Ostrhodopen 
				stärkster Druck zur ”Formierung eines bulgarischen patriotischen 
				sozialistischen Selbstbewußtseins” und zur Auslöschung aller 
				Spuren und ”Überreste der Sklavenvergangenheit” ausgeübt. Man 
				begann sogar mit der Beseitigung der osmanischen Grabsteine der 
				alten türkischen Friedhöfe, und nur die Intervention kompetenter 
				Fachleute verhinderte die ausnahmslose Vernichtung dieses 
				wertvollen epigraphischen Quellenmaterials. Vielerorts aber 
				machte man die türkischen Friedhöfe dem Erdboden gleich und 
				setzte die verstorbenen Muslime auf „bulgarische Weise“ in den 
				„einheitlichen Friedhöfen“ mit „einheitlichen Symbolen und 
				bulgarischen Inschriften“ bei. Die muslimisch geprägten Feste 
				und die traditionelle Bekleidung wurden verboten, die 
				Beschneidung bestrafte man mit bis zu fünf Jahren Haft, und zwar 
				wegen „Körperverletzung“. Es wurden auch die alten Namen vieler 
				Orten und Siedlungen geändert. 
				
				          In den 
				nächsten zwei Jahren wurde der antiislamische Druck ein wenig 
				gelockert. Die kommunistischen Machthaber Bulgariens 
				befleißigten sich gegenüber den konfessionellen Bedürfnissen der 
				muslimischen Bevölkerung einer eingeschränkten Toleranz.
				
				Gleichzeitig aber 
				wurde die totale ethnische Assimilation vorangetrieben. Aus den 
				Buchhandlungen verschwanden Bücher in türkischer Sprache; die 
				Staatssicherheitsorgane durchsuchten die Wohnungen türkischer 
				Intellektueller und beschlagnahmten viele Bücher und 
				Manuskripte. Nicht nur aus privaten Sammlungen, sondern auch aus 
				öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken wurden Bücher 
				über das Vorhandensein einer türkischen Minderheit in Bulgarien 
				ausgesondert und versteckt. Sogar türkische Wörterbücher wurden 
				auf Befehl „von oben“ in einen geschlossenen Fonds verbracht, zu 
				dem der Zugang einer besonderen Erlaubnis bedurfte. Die Verlage 
				begannen, bei Arbeiten über die türkische Problematik besonders 
				„wachsam“ zu werden, die Redakteure handelten nach bestimmten 
				Anweisungen. Sogar die Lexikographen wurden dazu aufgefordert, 
				Lehnwörter, die zur Osmanenzeit in die bulgarische Sprache 
				eingedrungen waren, nicht als „türkisch“ zu bezeichnen. 
				
				          Viele 
				Wissenschaftler und Intellektueller aus den Reihen der 
				türkischen Bevölkerung wurden unter ständige Beobachtung 
				gestellt. Manchem von ihnen gelang es, in die Türkei zu 
				emigrieren, wie z. B. der 1987 dem ”Parteihistoriker” der 
				Minderheit, Jusein Memišev [Hüseyin Memişoğlu]. 
				Andere verloren ihren Arbeitsplatz und wurden ins Gefängnis 
				gebracht, einige starben, während die Mehrheit dazu gezwungen 
				wurde, sich der neuen innenpolitischen Lage anzupassen und 
				allerlei Deklarationen zur Rechtfertigung der Parteilinie zu 
				unterschreiben. Schon zu Beginn der Kampagne der „Wiedergeburt“ 
				waren die meisten unzufriedenen Türken festgenommen worden. Nach 
				Schätzungen des Emigrantenvereinigung „Balk-Türkler Derniği“ 
				belief sich die Gesamtanzahl der politischen Häftlinge unter den 
				Bulgarientürken im Jahre 1986 auf 100.000 Menschen.
				 
				
				          Von 
				Jänner bis Juni 1986 wurden etwa 100 Personen verhaftet, die mit 
				der Untergrundorganisation „Uzun kış“ [Der Lange Winter] 
				verbunden waren. Die meisten von ihnen wurden jedoch wieder 
				freigelassen und verbannt, während nur neun Mitglieder der 
				Organisation einschließlich ihres Führers Mehmed Juseinov vor 
				Gericht gestellt wurden.
				
				Mitte Juni 1986 
				nahmen Sicherheitsorgane auch die Aktivisten der wenig später 
				gegründeten „Türkischen Nationalbefreiungsbewegung in Bulgarien“ 
				[Bulgaristanda Türk Milli Kuruluş Hareketi] fest.
				
				Von ihren etwa 200 
				Mitgliedern wurden 18 Personen vor Gericht gestellt. Sie wurden 
				der ”unzulässigen Kontakte” mit türkischen diplomatischen 
				Dienststellen, des Sammelns und der Verbreitung vertraulicher 
				Informationen, des Vollzugs von Untergrund- und 
				Anstiftungstätigkeiten, der Gründung oder Leitung türkischer 
				terroristischer Gruppen usw. beschuldigt. Wegen der Beteiligung 
				an der Organisierung und ”Unterweisung” solcher Gruppen wurden 
				in der Folgezeit eine Reihe von Angestellten der türkischen 
				Botschaft in Sofia sowie der türkischen Generalkonsulate in 
				Plovdiv und Burgas aus dem Lande gewiesen. Ein Gerichtsverfahren 
				gegen eine Terroristengruppe fand auch im Jahre 1988 im Bezirk 
				von Razgrad (Nordost-Bulgarien) statt; Ermittlungen sollten eine 
				Verbindung zu türkischen diplomatischen Vertretungen (diesmal in 
				Belgrad und Budapest) fest. 
				
				          1989, im 
				fünften Jahr seit Beginn der „Assimilationsbestrebungen“, mußte 
				Bulgarien in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen des Wiener 
				KSZE-Treffens einige Änderungen in der Gesetzgebung vornehmen 
				und die Einschränkungen hinsichtlich der privaten Auslandsreisen 
				beseitigen. Die türkischen Massenmedien kommentierten dies 
				dahingehend, es sei das eigentliche Ziel Sofias, sich von den 
				unbequemen Vertretern der Minderheit zu „befreien“, indem sie 
				sie „legal“ abschieben. Große Verwirrung unter den Muslimen 
				verursachten die Gerüchte, dass die ab 1. September 1989 in 
				Kraft tretende neue Gesetzgebung nur vorläufig und selektiv 
				anzuwenden sei. Die nun folgenden Protestkundgebungen und 
				Hungerstreiks, in deren Folge es auch zu Brandanschlägen gegen 
				Wohnungen türkischer Parteiaktivisten kam, waren von türkischen 
				Untergrundorganisationen vorbereitet worden. Sie forderten 
				zusammen mit ihren Anführern, die sich im Gefängnis befanden, 
				die Wiederherstellung der türkischen Namen sowie die freie 
				Auswanderung unter Berücksichtigung der „Zusammenführung 
				getrennter Familien“. Die Unruhen, die am Vorabend des größten 
				bulgarischen Feiertags, der den heiligen Kyrill und Method bzw. 
				dem slawischen Schrifttum und der Kultur gewidmet ist, begannen, 
				dauerten über eine Woche lang. In vielen Ortschaften kam es zu 
				Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und protestierenden 
				Bürgern. Nach offiziellen Angaben kamen zwischen 20. Und 27. Mai 
				1989 insgesamt sieben Menschen ums Leben, weitere 28 wurden 
				verletzt; aller Wahrscheinlichkeit aber sind die Zahlen viel zu 
				niedrig gehalten.  
				
				          Am 29. 
				Mai 1989 verbreitete Živkov über Funk und Fernsehen eine 
				offizielle Erklärung, in der er die Türkei zur Öffnung ihrer 
				Grenze für „jeden bulgarischen Muslim“, der auswandern will, 
				aufforderte. Gleichzeitig appellierte er an die Einheit und 
				Geschlossenheit der Bevölkerung beim Aufbau der „neuen 
				Gesellschaft“.
				
				Offensichtlich 
				hatte sich die Staats- und Parteispitze ähnlich wie in den 
				fünfziger Jahren dazu entschlossen, Personen, die sich nicht 
				„umerziehen“ lassen wollten,  durch Ausweisung loszuwerden und 
				den Assimilationsdruck auf die übrigen bulgarischen Türken zu 
				verstärken. Dem entsprach auch der ZK-Beschluß ”Über die weitere 
				Vereinheitlichung der bulgarischen sozialistischen Nation”, auf 
				den sich die Autoren einiger Propagandamaterialien beriefen.
				
				Bereits 
				unmittelbar nach den ersten Protesten aber wurden Dutzende von 
				Türken nach Jugoslawien, Ungarn und Österreich deportiert. Es 
				waren dies meist Mitglieder türkischer Untergrundorganisationen, 
				Personen, die als Unruhestifter galten oder sich der 
				Namensänderung widersetzt und ihre Strafen verbüßt hatten. Auf 
				diese Weise sollen schon in den ersten Wochen etwa 10.000 
				Menschen vertrieben worden sein.
				 
				
				          Im Juni 
				1989 kam es in den Gebieten mit dichter türkischer Bevölkerung 
				zu einer „Auswanderungseuphorie“. Schon in den ersten zehn Tagen 
				stellten die Behörden etwa 150.000 Reisepässe aus, und fast 
				100.000 Türken verließen das Land. Über 400 Millionen Lewa 
				wurden von den Sparkassen behoben, um Waren zu kaufen. Viele 
				Geschäfte wurden geradezu leergekauft und der Produktionszyklus 
				etlicher Betriebe war gestört, einige von ihnen mußten sogar die 
				Arbeit einstellen, weil sich die Anzahl der Beschäftigten 
				plötzlich drastisch reduziert hatte. Besonders betroffen war die 
				Landwirtschaft, die damals in Ostbulgarien fast die Hälfte ihrer 
				Arbeitskraft verlor.
				
				Obwohl die 
				Anführer der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ [Dviženie za 
				prava i svobodi, DPS] später öfter verkündeten, dass sie die 
				neue Massenauswanderung initiiert hätten, so entsprach diese 
				Entwicklung doch auch den Wünschen der kommunistischen 
				Regierung.
				
				Hatte doch Živkov 
				bereits am 18. Jänner 1989 auf einem Treffen mit den ersten 
				Sekretären der Bezirkskomitees der BKP erklärt, es sei am 
				besten, etwa 100.000–150.000 bulgarische Türken zur Aussiedlung 
				zu bewegen,
				
				und auf der 
				Sitzung des Politbüros am 16. Mai beharrte er darauf, den Türken 
				die Reisepässe noch vor dem für alle Bürger festgesetzten Termin 
				auszuhändigen.
				
				Schließlich wollte 
				Živkov am 6. Juni „nicht weniger als 200.000“ Türken aussiedeln, 
				damit sich Bulgarien „nicht in ein zweites Zypern“ verwandle.
				
				Die übrigen 
				Politbüromitglieder stimmten seinen Worten natürlich zu. Bis zum 
				22. August, als die türkische Grenze einseitig geschlossen 
				wurde, gelang es dann etwa 320.000 bulgarischen Türken, zu 
				emigrieren.  Viele davon konnten sich jedoch in der neuen Heimat 
				nicht zurecht finden und kehrten nach dem Sturz Živkovs wieder 
				heim. Bis zum 10. September 1990 kamen auf diese Weise 154.937 
				bulgarische Türken, also etwa 42% der Auswanderer, ins Land 
				zurück. In der Türkei blieben 214.902 Emigranten. So wurde die 
				türkische Minderheit bis zum Ende des Jahres 1990 auf 632.682 
				Menschen reduziert, was ungefähr 75% ihrer Gesamtanzahl vor 
				Beginn der „Großen Reise“ im Mai 1989 ausmachte. 
				
				          Als im März 
				1985 Michail Gorbačev an die Macht kam, war man in Bulgarien 
				gerade dabei, die türkischen Namen sogar unter Anwendung von 
				Gewalt zu ändern. Der neue sowjetische Regierungschef forderte 
				jedoch gemäß seinen Verständnis von Sozialismus nicht nur 
				„Glasnost“, sondern auch die Achtung des 
				Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, was der Idee der 
				„sozialistischen Einheitsnation“ einschließlich ihrer 
				bulgarischen Variante vollkommen widersprach. Und so beeinflußte 
				wieder einmal der Wandel in der Sowjetunion die bulgarische 
				Entwicklung. Todor Živkov musste von der politischen Bühne 
				abtreten, weil er eine schon vergangene Epoche symbolisierte 
				und, ähnlich wie zur Zeit Chruščevs, die „Perestrojka“ neue 
				Menschen brauchte. Diese kamen am 10. November 1989 an die 
				Macht, nachdem schon 320.000 bulgarische Bürger das Land 
				verlassen hatten. Die Idee von der „sozialistischen 
				Einheitsnation“ erwies sich als eine Chimäre. Ebenso scheiterte 
				der Versuch, in der UdSSR und ihren Satelliten eine „sozial 
				gerechtete Gesellschaft“ aufzubauen. |