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				In der russischen 
				Geschichte nehmen die östlichen Reitervölker einen besonderen 
				Platz ein. Noch vor der Gründung von Kiewer Russ spürten die 
				Länder nördlich des Schwarzen Meeres den Einfuß der Hunnen, 
				Awaren, Protobulgaren, Chasaren, und nach dem Zusammenbruch des 
				Chasarischen Chaganats wurden die russischen Fürstentümer vor 
				dem Druck der neuen nomadischen Gruppen aufgestellt, unter denen 
				die Stämme der Petschenegen und der Polovci (die Kumanen aus den 
				europäischen Quellen) eine wichtige Bedeutung hatten. Eben sie 
				wirkten mit den Russen aus der vormongolischen Periode aktiv 
				zusammen und schufen Voraussetzungen für das Formieren 
				denjenigen Zügen in der Weltempfindung, Mentalität und in der „Seelischkeit“, 
				die wir oft verallgemeinernd als „typisch russische“ bezeichnen. 
				Der dauerhafte Kontakt „im Frieden und Krieg“ trug zur 
				Bereicherung der traditionellen russischen Kultur bei, und zwar 
				sowohl auf eine ethnographische und volkskundliche Ebene, als 
				auch in Bezug auf die ostslawische russische Sprache, die voll 
				mit iranischen und türkischen Elemente ist. 
				
				Dies alles zeigt sich 
				bei einer objektiven Betrachtung der russischen Vergangenheit, 
				als das Gebot der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit gefolgt 
				wird, ohne Rücksicht auf irgendwelche ideologische 
				Voreingenommenheiten und ohne Beachtung der jeweiligen 
				„politischen Korrektheit“. Doch mit dem Einstieg des russischen 
				Imperiums und nach seiner Verwandlung in einem der Faktoren in 
				der europäischen Politik wurde jeder Versuch von einer 
				kritischen Umwertung der Rolle der türkischen Nomaden und ihres 
				Beitrages zur Entwicklung des „russischen Geistes“ mit 
				Missbilligung entgegengenommen. Darum ist es sehr wichtig, den 
				Weg nachzuspüren, der von der russischen Historiographie bei der 
				Feststellung der Herkunft, des Wesens und der Bedeutung der 
				sogenannten Kočevniki [die Reiternomaden] und damit auch 
				bei der Klärung ihrer Stelle beim Aufbauen der Gestalt des 
				östlichen Europas, gelaufen wurde. 
				
				*        *        * 
				
				Bei der Errichtung der 
				Grundlagen der neuen imperialen Macht existierten weder die 
				Petschenegen, noch die Kumanen mehr. Sie haben sich zu einigen 
				der vielen abgestorbenen Völker verwandelt, deren Namen Spuren 
				nur in den alten Quellen hinterließen oder lediglich in der 
				Toponymie bestimmter Regionen aufbewahrt blieben. Und als im 18. 
				Jahrhundert die ersten konkreten Untersuchungen darüber 
				unternommen wurden, waren sie schon längs zu einer unklaren 
				Erinnerung mit einer definitiv negativen Belastung geworden. 
				
				Die negative 
				Einstellung zu ihnen war vor allem dem Umstand zu verdanken, 
				dass die Nachrichten über Kumanen und Petschenegen hauptsächlich 
				aus den Kreisen byzantinischer und altrussischer Intellektuellen 
				herstammten, also von Vertretern derjenigen Länder und Völker, 
				die oft unter den Nomadeneinfällen litten und bei der 
				Beschreibung ihres ständigen Feindes nicht unparteiisch sein 
				konnten. Dies waren Hofschreiber, welche die Nomaden wegen ihrer 
				unterschiedlichen Lebensweise verachteten, oder aber 
				Kirchenleute, die die „Barbaren“ auch darum hassten, weil sie 
				Heiden waren. Für die russischen Chronisten waren die Polovci 
				Vorläufer der unreinen Völker von Gog und Magog, die einst von 
				Alexander dem Großen in den Gebirgen geschlossen wurden, um der 
				zivilisierten Welt nicht zu schaden. Die Annalisten verwendeten 
				für sie das Epitheton poganye (Heide, heidnische) und 
				definierten sie als gotteslose Räuber, die sich mit Aas und 
				Unrat ernährten und eine Reihe andere noch ekelhaftere 
				Gewohnheiten hatten. Auch für die byzantinischen Schriftsteller 
				waren sie ein grausames, räuberisches und unzivilisiertes Volk, 
				das Wolfssitten besaß. Bei einer solchen Quellenbasis ist es 
				ganz natürlich, dass auch spätere Forscher die Nomaden als 
				„Wilde“ beschrieben, die Jahrelang im östlichen Teil Europas 
				„tobten und wüteten“, weswegen sie einer eigenen Geschichte 
				unwürdig sind. 
				
				Im 18. Jahrhundert 
				schrieb man über Kumanen und Petschenegen vor allem im 
				Zusammenhang mit der russischen und polnischen Geschichte, da 
				das Gebiet des Hauptkontakts mit den Nomaden in der heutigen 
				Ukraine ein Objekt der territorialen Ansprüche der polnischen 
				und der russischen Krone war. Mit der Zeit ging jedoch die 
				Initiative in russischen Händen. In der ersten Hälfte des 
				Jahrhunderts wurde den Anfang der neuen russischen 
				Historiographie gestellt. Nach der Gründung 1703 von Sankt 
				Petersburg wurde die kaiserliche Hauptstadt zum Mittelpunkt 
				eines reichlichen Geistesleben. Mit der Unterstützung des Hofes 
				und der Regierung nahmen sich eine Reihe deutscher Gelehrten mit 
				der edlen Aufgabe an, die „weißen Flecken“ in der Geschichte, 
				der Geographie und der Ethnographie der neuen Großmacht 
				auszufüllen. Dazu schlossen sich die Bemühungen der 
				einheimischen wissenschaftlichen Elite, die oft im Streit mit 
				ihren deutschen Kollegen die Kenntnisse über die alte russische 
				Vergangenheit erweiterte.  
				
				Die Epoche von 
				Peter des Großen stellte einen Anfang in der systematische 
				Erforschung der östlichen Kulturen dar. Persönlich nach einer 
				Zarenanordnung wurden etwa 50 tatarische und armenische 
				Inschriften aus den Ruinen der Stadt Bolgar an der Wolga 
				abgeschrieben. Etwa um dieselbe Zeit, zwischen 1720 und 1727, 
				wurde der deutsche Wissenschaftler Daniel Gottlieb Messerschmidt 
				auf Dienstreise nach Sibirien geschickt. Ein bisschen früher 
				beendete im Jahr 1701 Semjon Uljanovič Remesov den ersten 
				russischen geographischen Atlas mit 23 Landkarten – das 
				sogenannte „Zeichenbuch von Sibirien“, bei dessen 
				Vorbereitung er auf die bis dahin unbekannten alttürkischen 
				Orchondenkmäler stieß. Sie wurden in Europa erst durch die 
				Beschreibungen des 1709 am Poltava gefangengenommenen 
				schwedischen Offiziers Philipp Johann von Strahlenberg 
				bekanntgeworden, der zehn Jahre in Sibirien verbrachte. Sein 
				Werk ist mit den eingeschlossenen geographischen Beschreibungen 
				und Landkarten, sowie mit einer der ersten Klassifikationen der 
				türkischen, finnisch-ugrischen und paläoasiatischen Sprachen 
				(Tabula Polyglotta) für Jahrzehnte zu einem Haupthandbuch der 
				entstehenden Altaistik geworden.
				
				Mancherorts berührte Strahlenberg auch die Frage über die 
				Petshenegen, und in Bezug auf die Kumanen behauptete er, dass 
				sie Vorfahren der Tataren waren.
				
				Damit ging er dem großen französischen Orientalisten Joseph 
				Deguignes voraus, der – entgegen seiner Zeitgenossen – die 
				Polovci eher für Kiptschaken hielt und betonte, dass sie 
				gemeinsam mit Uzen, Petschenegen und Chasaren zu den Türkvölker 
				angehörten.
				 
				
				In der ersten 
				Hälfte des Jahrhunderts sammelten Vassilij Nikitič Tatiščev, der 
				Sibirienforscher Johann Eberhard Fischer und der Petersburger 
				imperialen Geschichtsschreiber Fjodor Ivanovič Miller (Gerhard 
				Friedrich Müller) – der berühmte Herausgeber der „Sammlung 
				Russischer Geschichte“, Materialien über die Geschichte und 
				die Sprachen der nichtrussischen Völker im Zarenreich. Viel 
				größere Bedeutung gewannen aber die Werke eines anderen 
				deutschen Gelehrten aus den akademischen Kollegium im Petersburg 
				– der Orientforscher und Professor für das griechische und 
				römische Altertum Gottlieb (Theophil) Siegfried Bayer,
				
				der als Begründer der normannischen Theorie gilt. Er 
				unterstützte die These über die Gleichsetzung zwischen Kumanen 
				und Uzen und meinte, dass sie sich selbst als Usen (Uzen) 
				bezeichneten und ihnen den Name „Polovci“ samt ihrer Abarten von 
				den Russen und Polen gegeben wurde.
				
				Damit erschien Bayer als Fortführer einer alten deutschen 
				Tradition, datierend aus dem 11. Jahrhundert.
				
				Der Gelehrte bemerkte, dass der Fluss Dnjepr von den Tataren „Usi“ 
				und von den Osmanen „Ossi“ oder „Ussi“ benannt wurde,
				
				was wieder an Usen erinnerte. Er äußerte die Vermutung, dass 
				wegen der Namensähnlichkeit und der gleichen bewohnten Zone die 
				ihm zeitgenössischen Osseten (Ossetiner) Nachfahren der Usen 
				oder Uzen darstellen könnten.
				
				In seiner „Russischen Geographie“ berührte Bayer die 
				Herkunftsfrage auch anderer östlichen Völker –über die Chasaren 
				behauptete er z. B. definitiv, dass sie höchstwahrscheinlich 
				türkischer Herkunft waren. Mit all diesem schuf er eine stabile 
				Grundlage zur Erforschung der Vergangenheit Osteuropas und nicht 
				zufällig wurden Auszüge aus seiner „Geographie“ als 
				Kapitel 6 in der Schlözers „Allgemeine nördliche Geschichte“ 
				aufgenommen.
				 
				
				Ein Versuch für 
				die Klärung der Herkunft, der ethnischen Zugehörigkeit und des 
				Zusammenhanges zwischen den nicht slawischen Völkern im Russland 
				unternahm im 18. Jahrhundert auch Vassilij Nikitič Tatiščev. Er 
				hat nicht nur die Schlussfolgerungen seiner Vorgänger 
				verallgemeinert, sondern auch neue Hypothesen angeboten, womit 
				er die Bedeutung seines posthumen Werkes erhöhte.
				
				Im Geiste der Tradition betrachtete Tatiščev die Kumanen 
				zusammen mit Petschenegen und Torken, indem er sie alle für 
				Sarmaten hielt. Der Autor nimmt die Hypothese von einer 
				Verwandtschaft zwischen den ehemaligen Polovci, Sarmaten und 
				Goten an, betont aber, dass die Kumanen eher vom Osten her kamen 
				und nicht aus Litauen, wie die alten polnischen Historiker 
				behaupteten. Gemäß der Einsichten V. N. Tatiščev’s waren die 
				drei Völker (also Petschenegen, Torken und Polovci) 
				untereinander verwandt und deswegen beschreibt er sie zusammen, 
				indem er ihre Beziehung zu den Sarmaten sucht. 
				
				„Polovci – die 
				sind dieselben Petschenegen“ – bemerkt Tatiščev kategorisch und 
				erläutert, dass dieser Name bei den Russen von den „breiten 
				Feldern [pole] oder Steppen“ gegeben sein kann, sie aber 
				sich eigentlich „Komani“ oder „Kumani“ nannten. „Sein Gesetz war 
				das Heidentum“ – teilt der Autor mit, – doch viele von ihnen 
				übernahmen von den Wolgabulgaren den Islam und von den Russen 
				das Christentum. Dafür zeugten die Namen ihrer Fürsten 
				(arabische und christliche), obwohl auch die Christen ihrerseits 
				mit der Übernahme des christlichen Gesetzes auch chaldäische, 
				judäische, griechische oder lateinische Namen erhielten.
				
				In einem anderen Kapitel zählt Tatiščev die unterschiedlichen 
				Benennungen auf, die den Kumanen gegeben wurden (Polovci 
				bei den Russen – „vom großen Feld“). Seiner Meinung nach war 
				dieser Name mit dem griechischen „Nomaden“ und mit 
				hebräischen „Skythen“ ähnlich.
				
				Deswegen betrachtet er auch einige Angaben in der antiken 
				Literatur. Das Aufstellen seit den Zeiten Herodots und Ptolemäus 
				von „Basiläoi“, „Arystei“, „Alanoi“ etc. im Kaukasus, am Wolga 
				und in der Krim, wo später die Polovci bezeugt wurden, 
				veranlasst ihm zur Annahme, dass alle diese Völker eigentlich 
				Sarmaten waren und die griechischen Schriftsteller in der Folge 
				nur ihren Namen veränderten. Tatiščev rechnet mit dem Umstand 
				an, dass die biblischen Genealogien nicht genug zuverlässig 
				sind, um so mehr, als – von den russischen Chronik ausgehend – 
				die Kumanen (zusammen mit Petschenegen, Torken und Turkmenen) zu 
				den Türk- bzw. Tatarvölker zugezählt werden sollten, so wie es 
				vor ihm Strahlenberg in den Polovci tatarische Vorfahren sah, 
				und man auch für die Turkmenen vermutete, dass sie gleichartig 
				mit den Tataren sind. Deshalb bevorzugt er definitiv das 
				Sprachkriterium, doch wegen des Fehlens an zuverlässigen 
				linguistischen Angaben begnügt er sich nur die Wörter von W. 
				Rubruck und Plano-Karpini in Erinnerung zu rufen, dass die 
				Kumanen „von einer Sippe und Sprache“ mit den Ungarn, 
				Wolgabulgaren und Mordwa seien. 
				
				*        *        * 
				
				Ein Jahr nachdem 
				das Werk von Tatiščev herausgegeben wurde, gelang es dem jungen 
				ungarischen Gelehrte Daniel Cornides, in Venedig die ersten 22 
				Seiten eines, bereits im früheren Jahrhundert gesichteten, „kumanischen 
				Wörterbuchs“ abzuschreiben. Auf Grund der linguistischen Angaben 
				fand D. Cornides die Kumanen für „Tataren-Kiptschaken“ und ihre 
				Sprache – für einen „tatarischen Dialekt“. Jahrzehnte lang 
				blieben jedoch seine Schlussfolgerungen der breiten 
				wissenschaftlichen Öffentlichkeit unbekannt, weswegen die 
				Kumanen weiterhin als ein den Magyaren verwandtes Volk gehalten 
				wurden und die Ehre der Entdeckung des Venedigschen Denkmals dem 
				großen Orientalisten aus dem Beginn des 19, Jahrhunderts, Julius 
				von Klaproth, zufiel, der 1828 den ersten Teil dieser Quelle 
				veröffentlichte. Trotz mancher Fehler warf seine Edition 
				genügendes Licht auf die Sprache und die ethnische Zugehörigkeit 
				der späten mittelalterlichen Nomaden auf, und gab einen neuen 
				Anstoß in ihrer weiteren Erforschung. Und wenn zu Beginn des 19. 
				Jahrhunderts der große russische Historiker Nikolaj Mihajlovič 
				Karamsin nur in der Lage war, die Polovci von den übrigen 
				„Reitervölkern“ zu unterscheiden,
				
				zählten die späteren Forscher sie nun definitiv zu den breiten 
				„türkisch-tatarischen Gemeinschaft“. 
				
				Karamsin gründete 
				sein Werk auf ein enormes in dem Umfang chronikalisches 
				Material, wobei er eine Reihe neuer Quellen selbst einführte. 
				Nach V. Tatiščev erweiterte er die Kenntnisse über die frühe 
				russische Vergangenheit, indem er mehrere davor unverwendete 
				Angaben über die Geschichte sowohl der Nomaden selbst, als auch 
				ihrer Zwischenbeziehungen mit den russischen Fürsten, 
				analysierte. Auch Karamsin sah in den Steppennomaden gefährliche 
				für Russland Feinde, womit die Großfürsten unaufhörlich zu 
				kämpfen hatten – zuerst mit den „Barbaren“ Petschenegen, dann 
				mit den Torken, und danach mit den “unermüdlichen Übeltätern“, 
				den „grausamen“ Polovci, deren Erscheinung den Anfang 
				unendlicher Unheile für den russischen Staat stellte. Nach ihm, 
				hielten diese Völker die Entwicklung Russlands definitiv auf; 
				der Frieden mit ihnen war unmöglich (er stellte eigentlich „nur 
				eine gefährliche Waffenruhe“ dar); wobei der Kampf der 
				russischen Fürsten untereinander „die Außenfeinde verstärkte“ 
				und die Lage nur zusätzlich verkomplizierte. Der Autor betont 
				die Rolle Vladimir Monomachs für das Herantreten einer Wende im 
				Kampf mit der Steppe und äußert vielleicht zum ersten Mal die 
				Hypothese, dass unter der Benennung Černye Klobuki („die 
				Schwarzen Mütze“) aus den chronikalischen Angaben die in einer 
				russischen ethnischen Umgebung im Flussgebiet von Dnjepr 
				gebliebenen Petschenegen, Torken und Berendei verstanden werden 
				sollten.
				
				Er war sogar geneigt, in ihnen Vorfahren der künftigen Kasaken 
				zu sehen:
				
				einer Gedanke, der in der Folge von anderen russischen Forscher 
				übernommen und weiterentwickelt wurde.  
				
				Nach Karamsin gibt 
				auch Nikolaj Gerassimovič Ustrjalov einige Angaben über die 
				Kumanen. In seinem Vorlesungskurs an der Universität wird der Kampf der 
				russischen Fürsten mit den Steppennomaden auch auf Grund von 
				chronikalischen Zeugnissen betrachtet, es werden Tatsachen über 
				die Beteiligung von Polovci als Söldnertruppen in den 
				fürstlichen inneren Auseinandersetzungen aufgezählt, es wird die 
				Aufmerksamkeit auf die Rolle Vladimir Monomachs zu ihrer 
				Zerschlagung gerichtet und es wird betont, dass nur die 
				gemeinsame Steppengefahr die russischen Fürsten auszusöhnen 
				veranlasste und sie dazu forderte, „ihre Kräfte zu vereinigen, 
				um Russland mit einem gemeinsamen Schlag von den grausamen 
				Übeltätern zu befreien“.
				 
				
				Die Werke 
				Karamsins und Ustrjalovs wurden aus der Position der offiziellen 
				russischen Historiographie geschrieben. Darin wird de Frage über 
				die Polovci nur in der Masse betrachtet, inwieweit sie einen 
				Bezug zum Kampf Russlands mit den Steppenvölkern hat. Deshalb 
				werfen sowohl das herangezogene Quellenmaterial als auch die von 
				den Autoren verwendeten deskriptiven Verfahren kein neues Licht 
				über das Wesen, die Sprache und die ethnische Zugehörigkeit der 
				Nomaden. In der russischen Geisteswissenschat werden die Polovci 
				zum Objekt eines verstärkten Interesses erst in der zweiten 
				Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die ersten konkreten 
				Untersuchungen zu diesem Thema gedruckt wurden. Wahrscheinlich 
				übte einen gewissen Einfluss darüber die Entwicklung der 
				Orientalistik (besonders nach der Veröffentlichung des 
				Sprachmaterials vom Codex Cumanicus) und die schon im 
				früheren Jahrhundert in Europa begonnene Erforschung der 
				mittelalterlichen „Reitervölker“, wobei den Bedarf an einer 
				spezialisierten Literatur zunächst auch mit ausgewählten 
				Übersetzungsschrifttum ausgefüllt wurde.
				
				Im Russland erhielt aber das Nomadenthema seine vielen klaren 
				Umrissen nicht unter einer Außeneinwirkung, sondern im Laufe der 
				allgemeinen Entwicklung bei der Untersuchung der russischen 
				Vergangenheit. 
				
				Mitte des 
				Jahrhunderts gelang es dem Fürsten M. A. Obolenskij, bei einer 
				seinen Reisen das handschriftliche „Čet’i minej“ des 
				Moskauer Metropoliten Makarij († 1563) zu erwerben, der die 
				Arbeit auf sein Werk noch 1529, während seiner Dienstszeit in 
				der Stadt von Großen Nowgorod, anfing. Auf die Rückseite des 
				Blattes 603 der Handschrift entdeckte Obolenskij ein kurzes „polovcisches“ 
				Wörterbuch, beginnend mit den Worten „Auslegung der polovcischen 
				Sprache: zuerst Polovcisch und dann Russisch“.
				
				Er schickte eine Kopie davon mit einem Brief an M. Pogodin, der 
				den Auszug in der Zeitschrift „Moskvitjanin“ drucken ließ.
				
				In einer späteren Nummer der Zeitschrift erschien auch eine 
				Tafel der fraglichen Wörter mit einer Gegenüberstellung zu ihren 
				tatarischen Entsprechungen, was dem unbekannten Verfasser einen 
				Grund gab, im Einklang mit dem Text selbst („Polovci, d. h. 
				Tataren“) zu schließen, dass „die Polovci einen tatarischen 
				Stamm waren“. 
				
				Ein wenig später 
				analysierte Ivan Dmitrievič Beljaev das Chronikmaterial, um die 
				Beziehungen Russlands mit den Gebieten nördlich des Schwarzen 
				Meers in der Zeitalter der petschenegischen und der kumanischen 
				Überlegenheit in der Steppe zu erörtern.
				
				Der Verfasser kam zu dem Schluss, dass im Unterschied zu den 
				Petschenegen, die wegen ihrer Zerstreuung nicht imstande waren, 
				die Beziehungen der Russen zu ihren Besitzen entlang des 
				Schwarzen Meeres zu stören, weshalb „den Handel mit dem 
				Griechenland nicht gebrochen wurde“, verletzten jedoch die 
				gleich nach ihnen erschienenen Polovci das Gleichgewicht in 
				diesen Territorien. Er unterschied zwei ihrer Haupttypen – die
				Dnjepr- und die Don-Polovci. Nach seiner 
				Auffassung waren die Donpolovci viel zahlreicher und mächtiger, 
				während sich die Dnjeprpolovci, die nah an den von den 
				russischen Fürsten unterstützten Torken und Berendei wohnten und 
				in freundschaftlichen Beziehungen mit den Rostislaviči standen, 
				als vollmächtige Herren im Gebiet nicht fühlten. Deswegen – 
				trotz ihrer Einfälle, wobei sie in der Praxis keine der 
				russischen Städte einnehmen konnten – lief der Handel am Süden 
				mit Byzanz nach wie vor weiter. Mit der Zeit fing aber der 
				russische Einfluss auf die Schwarzenmeerküste an, nachzulassen, 
				und zu Beginn des 13. Jahrhunderts setzten sich dort bereits die 
				Polovci, und nach ihnen die Mongolen vollständig durch. 
				
				Zwei Jahre nach 
				dem Artikel Beljaevs erschien die Untersuchung von I. Samčevskij 
				über die Torken, Berendei und die Čenye Klobuki.
				
				Darin analysierte der Autor die chronikalischen Nachrichten, um 
				eine Antwort auf die folgenden Fragen zu finden: „(1) waren die 
				Torken, Berendei und Černye Klobuki verschiedene Völker, oder 
				sie alle stellten ein und dasselbe Volk dar, das 
				unterschiedliche Benennungen in verschiedenen Zeiten und aus 
				verschiedenen Gründen erhielt; (2) zur welche Sippe gehörten 
				diese Völker, woher und wann sie kamen, wo haben sie sich 
				niedergelassen; (3) welche Bedeutung hatten sie in den 
				Beziehungen zu Russland; und (4) mit welchen Besonderheiten 
				zeichneten sich ihre innere Lebensweise ab“? Samčevskij richtete 
				die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass in den Quellen unter 
				den Namen Černye Klobuki entweder Berendei, oder die Torken, 
				oder zusammen Berendei und Torken, oder aber Torken, Berendei 
				und Petschenegen, beziehungsweise Torken, Kowui, Berendei und 
				Petschenegen, verstanden wurden.
				
				Dies war bei einer Gegenüberstellung der einzelnen 
				chronikalischen Listen ersichtlich, woraus der Autor zu dem 
				Schluss kam, dass der Name Černye Klobuki, ebenso wie die 
				Benennung Čerkassen, einen gemeinsamen Name der aufgezählten 
				Völker war, d. h. einen Sippennamen in Bezug auf die Torken und 
				Berendei. Nach seiner Meinung, war es nicht ausgeschlossen, dass 
				die Berendei und die Torken „einstämmig“ oder Sippen ein und 
				desselben Volkes, waren. Die Berendei könnten auch Torken 
				gewesen sein, die ihre Benennung nach dem Name ihres Anführers 
				oder aus einem anderen Grund erhielten. Doch wegen des Fehlens 
				an sichereren Angaben darüber versuchte der Verfasser die 
				ethnische Zugehörigkeit nur den Torken zu bestimmen.
				
				Er erinnerte die Vermutungen einzelner Gelehrten, die die Torken 
				für Reste der Ungaren und Bulgaren (so Thunmann) hielten, oder 
				sie mit den Uzen (so Stritter, Karamsin) in Verbindung brachten, 
				doch meinte er, dass diese Ansicht nur in der Art einer 
				Vermutung vorgelegt wurde, die sich durch den „Beweisen 
				Friedrich Suhms“, dass die Uzen und Polovci ein und dasselbe 
				waren, widerlegt. Nachdem es keine anderen Angaben gab, sollte 
				man die Chroniknachricht [von Nestor], dass die Torken 
				gleichstämmig mit den Turkmenen und Petschenegen waren,
				
				nicht zurückwerfen. Es scheint dies zu bedeuten, dass sich ihr 
				ursprüngliches Vaterland in Asien befand, woher sie – ähnlich 
				wie ihre Gleichstämmige – nach Europa gelangten. Samčeskij ist 
				geneigt, die Torken als den Rest „eines Volkes“ zu betrachten, 
				das aus Asien in den uralten Zeiten herkam, als es in den 
				örtlichen und in den fremden Chroniken nicht aufgezeichnet sein 
				konnte. Später wurde es vielleicht von einem anderen Volk 
				unterworfen, das aus Asien mit neuen Kräften eindrang, weswegen 
				es gezwungen war, den Schutz Russlands zu suchen. Indem er zur 
				Frage über die Bedeutung von Černye Klobuki (d. h. von Torken 
				und Berendei) in ihrer Beziehungen zu den russischen Fürsten 
				herantritt, bemerkt der Autor, dass die Torken ursprünglich 
				Verbündeten oder Söldner von Russland waren (985 beteiligten sie 
				sich im Feldzug des Fürsten Vladimir gegen die Wolgabulgaren) 
				und erst im 11. Jahrhundert zu seinem Feind wurden. Der 
				Verfasser zeichnet in diesen Beziehungen zwei Perioden ab (er 
				spricht von Beziehungen der „ersten“ und der „zweiten“ Art), 
				wobei er sich auf die Chronikangaben stützt: (a) bis zu 
				Unterwerfung der Torken und Berendei seitens der russischen 
				Fürsten – eine Zeit, die sich vor allem mit kriegerische 
				Auseinandersetzungen charakterisierte, und (b) nach ihrer 
				Niederlassung an der russischen Grenzen mit der Steppe als 
				untergebenen Bündnisstämme.
				
				Er richtet eine besondere Aufmerksamkeit auf die Rolle, die die 
				Černye Klobuki spielten.
				
				Sie führten nicht nur die Funktion von „ständigen Wachen“ gegen 
				die neuen östlichen Feinde aus und wurden aktiv in den 
				fürstlichen inneren Auseinandersetzungen als weit 
				zuverlässigeren Verbündeten verglichen mit der zum selben Ziel 
				herangezogenen Polovci benutzt, sondern sie beteiligten sich 
				außerdem bei der Wahl des Fürsten von Kiew, gleich wie die 
				übrigen Bewohner, obwohl sie keine Christen waren. Indem er die 
				Tatsache hervorhebt, dass die Černye Klobuki, die unter eigenen 
				Anführer standen und jedoch „für ihren Hauptbefehlshaber der 
				Kiewer Fürst anerkannten“, zu Beginn des 13. Jahrhunderts 
				vollständig aus den Chroniken verschwanden, vermutet Samčevskij, 
				dass sie sich mit irgendeinem anderen Volk vereinigten und ihren 
				alten Name verloren. So führte er die Idee fort, dass eben die 
				Černye Klobuki, d. h. die Torken und Berendei, später zu „einem 
				der Elemente des Kasakentums“ geworden sind. 
				
				Gleichzeitig mit 
				dieser Veröffentlichung wurde der historiographische nach seinem 
				Charakter Artkiel von Arist Aristovič Kunik (Ernst-Eduard Kunik) 
				über die „torkischen“ Petschenegen und Polovci nach den 
				magyarischen Quellen herausgegeben.
				
				Ähnlich wie seine Vorläufer zählte der Autor die Kočevniki 
				im Geiste der Tradition zu den „unhistorischen“ Völkern, die 
				„niemals eine höhere Stelle in der Weltgeschichte einnehmen 
				werden“. Doch im Einklang mit Schlözers Ansichten meinte er 
				allerdings, dass ihre Erforschung notwendig sei, weil so wie die 
				„Naturwissenschaften auch die niedrigsten unvollkommenen 
				Organismen in Verbindung mit den vollkommenen einer Beobachtung 
				und sorgfältiger Untersuchung unterziehen, so auch die 
				Historiker aus verschiedenen Gründen künftig verpflichtet sind, 
				mehr eine Aufmerksamkeit dieser niedrigen Sorten der Menschheit 
				zu widmen, besonders dort, wo über eine Einschätzung der 
				Geschichte Russlands im Vergleich zu den anderen europäischen 
				und asiatischen Hauptvölker die Rede ist“. 
				
				Eine große 
				Bedeutung erhielt Mitte des Jahrhunderts das zwei Jahre nach dem 
				Aufsatz Kuniks veröffentlichte fünfte Band der einst berühmten „Untersuchungen, 
				Bemerkungen und Vorlesungen zur russischen Geschichte“ von 
				Mihail Petrovič Pogodin, dessen dritten Kapitel vollständig den 
				Polovci und den „anderen östlichen Stämmen“, die zusammen mit 
				ihnen in den russischen Chroniken erwähnt wurden, gewidmet ist.
				
				Indem er eine große Menge von Quellenmaterial verwendete, 
				versuchte M. Pogodin ausführlich die Polovci zu 
				charakterisieren, wobei er Auskünfte nicht nur über ihre 
				Wechselbeziehungen mit den russischen Fürsten, sondern auch über 
				ihre Herkunft und Sprache, Lebensweise und Gewohnheiten, gab. 
				Äußerst stark beeindruckt das strukturell-analytischen Verfahren 
				des russischen Historikers beim Darlegen der angesammelten und 
				von ihm bearbeiteten Information in einer Weise, die in unserer 
				Computerepoche an das Schaffen einer „Datenbasis“ ähnelt. 
				Nachdem er z. B. die Nachricht von Nestor und die Meinung 
				Karamsins über die Herkunft dieses Volkes zitierte, zählte M. 
				Pogodin in zwei Spalten die Namen der polovcischen Fürsten auf, 
				und zwar mit einer genauen Angabe der Jahren, unter denen sie in 
				den Quellen erwähnt wurden, sowie mit der eventuellen 
				Variantenaufschreibung in den verschiedenen Chroniklisten (so 
				etwa Altunopa und Oltunopa, Beluk und 
				Biljuk, Izaj und Iza).
				
				Diese Namen bewiesen auch die „asiatische Herkunft“ ihrer 
				Träger. Weiter führte der Autor die von Obolenskij entdeckten „polovcischen 
				Wörter“ an, die sich letzten Endes als tatarische erwiesen, 
				woher die Meinung geäußert wurde, dass die Polovci einen 
				tatarischen Stamm gewesen sind. Er führt Beispiele (wieder mit 
				Angabe der entsprechenden Jahre) für die Benennung der 
				polovcischen Fürsten mit ihren Eigen- und Vatersnamen an, 
				worunter sich auch christliche und slawische Namen befanden. Aus 
				den spärlichen Nachrichten über ihre Lebensweise folgert Pogodin, 
				dass die Polovci einen „nomadischen Stamm“ waren, „der sich in 
				den Steppen von Ort zu Ort mit seinen Zelten, Herden, 
				Pferdeherden, Kamellen bewegte und von Räuberei und Viehzucht 
				lebte“. Sie teilten sich in Sippen und Stämmen, welche nach dem 
				Name ihrer Ahne oder ihres Vorstehers bezeichnet wurden. Es 
				werden außerdem die Lukomorje Polovci (wahrscheinlich auf 
				das linke Ufer von Dnjepr nah am Schwarzen Meer) und die 
				sogenannten Dikie (wilde) Polovci erwähnt.
				
				Jeder der Anführer der einzelnen Sippen (oder Stämmen), die in 
				den russischen Quellen als knjaze (Fürsten) bezeichnet 
				wurden, besaß, wie es scheint, seinen eigenen Besitz, eigene 
				veži. Der Autor bemerkt, dass die Polovci als ganzes 
				überhaupt zwischen Dnjepr und Wolga siedelten, doch fanden sich 
				in den Quellen auch Angaben über ihre konkreten Aufenthaltsorte. 
				Deswegen spürte er den Annalenangaben chronologisch (1109-1198) 
				nach,
				
				wobei er versuchte, die einzelnen Benennungen zu lokalisieren. 
				Die Nomaden hatten eigenartige Städte: Šarukan (oder 
				Osenev), Sugrov, Balin (Galin) und 
				Češjuev, die nach M. Pogodin vielleicht „Festungen oder 
				Sammelorte“ zu Schutzen von den russischen Einfällen 
				darstellten.  Sie waren ein kriegerisches Volk, bis zu einem 
				gewissen Grade mit der Kriegskunst vertraut, teilten sich in 
				Regimenten und Speeren, verfügten über Bogen und Pfeile, 
				Speeren, Fahnen und über „lebendiges Feuer“ (1184), d. h. „so 
				etwas wie Schießpulver“. Als einen „Raubstamm“, der von Beute 
				lebte, fielen die Polovci auf „Griechen“, auf die Donauländern, 
				Petschenegen, Berendei und Torken, auf Polen, Bulgaren, aber 
				meistens auf Russland, ein. Von ihren Überfalle litten vor allem 
				das Fürstentum von Perejaslavl, dann dies von Kiew und am 
				seltensten das Černigov’s Fürstentum, was aus der beigefügten 
				Chronikübersicht (1061-1215) zu entnehmen ist.
				
				Auf dieselbe Weise betrachtet Pogodin auch die Nachrichten über 
				die zahlenmäßige Stärke ihrer Militärtruppen,
				
				wobei er meint, dass sie mancherorts stark übertrieben wurde und 
				sich die reale Anzahl der nomadischen Krieger vielleicht 
				zwischen 500 bis 5000 Menschen bewegte. Nach seiner Auffassung 
				waren die polovcischen Einfälle „räuberische Angriffe, denen 
				gewöhnlich die friedlichen Stämmen seitens der benachbarten 
				wilden, Räuberstämmen unterzogen werden und es ist nicht nötig, 
				darin irgendwelche besondere Ursachen zu suchen, obwohl es in 
				einzelnen Fällen auch konkrete Anlasse dazu gab. Die Polovci fielen 
				in Russland fast unaufhörlich (meistens im Winter) ein, wobei 
				sie oft die für sie günstigen Umstände nutzten, so etwa den Tod 
				der Großfürsten (1113, 1125), die inneren Auseinandersetzungen 
				(1167, 1177) usw. Ihr Erfolg war von der Plötzlichkeit des 
				Angriffes abhängig. Beim Sieg zerstreuten sie sich im Lande oder 
				teilten sich in großen Scharen, wobei sie „raubten, schlachteten 
				und niederbrennten“, „Städte belagerten und einnahmen“, „Leute 
				in Gefangenschaft wegbrachten“, außerdem den griechischen Handel 
				über Dnjepr und den Galiziens Fischfang hinderten. Die 
				russischen Fürsten verfolgten sie oft und nahmen die geraubte 
				Beute weg. Nicht selten zogen sich die Polovci selbst ohne Kampf 
				zurück, doch konnten sie schnell zurückkommen. Zum Schutzen vor 
				ihrer Einfälle wurden Walle errichtet oder ließen die Fürsten 
				spezielle Militärkräfte die Grenze zu bewachen. Sie 
				organisierten ihrerseits auch Feldzüge in die Steppe, wobei sie 
				manchmal auch günstige Umstände benutzten, z. B. die Abwesenheit 
				der Polovci (1187). Es existierten immerhin auch normale 
				Zwischenbeziehungen – am Sakov und Kanev wurden oft 
				Zusammenkünfte (syezdi) zwischen den russischen und 
				polovcischen Fürsten veranstaltet. Man traf auch 
				Friedensabkommen mit ihnen, die natürlich vergänglich waren, da 
				die Polovci immer ihren Eide verrieten, als sie entschieden, 
				dass dies für sie vorteilhaft sei, doch auch die Russen es 
				ihrerseits nicht für Sünde hielten, sie zu betrügen, und 
				manchmal wurden die Friedensanträge sogar mit böser Absicht 
				gemacht. Doch zwischen den Eliten beider Völker gab es auch 
				Ehebündnisse, und die russischen Fürsten riefen oft die Polovci 
				zu Hilfe im Zusammenhang mit dem Kampf untereinander (1078-1210) 
				oder gegen Außenfeinde.
				
				Indem er die Aufzählung des nach Themen geordneten 
				faktologischen Materials beschließt, und bis zu Mongoleneinbruch 
				kommt, der das Ende der Polovcengefahr setzte, bietet M. Pogodin 
				eine chronologische Übersicht der gekürzten Auszüge aus den 
				Chronikangaben für die Jahre 1054-1223 an, die konkret das 
				betrachtete Volk angehen.
				
				Damit überlässt er dem Leser eine Möglichkeit, selbst die ihm 
				interessierenden Angaben zu suchen und die Richtigkeit der 
				gemachten Schlussfolgerungen zu überprüfen. 
				
				Auf eine ähnliche 
				Weise betrachtet der Verfasser auch „die übrigen östlichen 
				Stämmen“ (Torken, Petschenegen, Berendei [Berendiči], Turpei, 
				Kowui [Koui, Kui], Kaepiči und Černye Klobuki), die in 
				Verbindung mit den Polovci und ihren Einfällen in Russland 
				erwähnt wurden. Ein chronologisch geordneter Auszug aus den 
				Chronikangaben über diese Völker (1054-1207)
				
				dient als eine Verallgemeinerungsbasis bezüglich ihrer Namen und 
				Herkunft, ihrer Beziehung zu Russland, ihres Siedlungsgebietes, 
				Dienstes und ihrer Bedeutung. Pogodin vermutet, dass diese 
				Stämmen untereinander verwandt waren, da sie fast immer zusammen 
				erwähnt wurden, wobei der Name Černye Klobuki wahrscheinlich 
				gemeinsam für sie alle war – nur er wurde einzeln und niemals in 
				Verbindung mit den anderen Namen verwendet.
				
				Die Verwandtschaft der aufgezählten Völker bestätigte sich auch 
				aus ihren Lebensweise, Handeln, Glauben, Sprache und Verweilen 
				in ein und denselben Orten
				
				– sie alle waren Nomaden, und wahrscheinlich auch Heiden, wobei 
				ihre Eigennamen ähnlich mit den Namen der Polovci waren. Indem 
				sie im Dienst bei den Kiewer Fürsten eintraten, wurden sie am 
				dem rechten Ufer von Dnjepr als eine Wache gegen die sich links 
				befindenden Polovci, angesiedelt. Ihre Siedlungen begannen um 
				den Fluss von Ross (woraus Pogodin vermutet, dass sich den 
				Ausdruck „Porošani“ auch auf den verbündeten Torkenstämme 
				bezieht), und ihre Grundstadt war Torčesk.
				
				Außer im Kiewer Fürstentum sind Torken und Turpei auch im 
				Perejaslav’s Fürstentum (mit Mittelpunkt in der Stadt von Baruč) 
				erwähnt, und unter 1185 sprechen die Annalen auch von „Černigov’s 
				Kowui“. Die russischen Fürsten benutzten die Schwarzen 
				Klobuken sowohl gegen die Polovci, als auch in ihren inneren 
				Kämpfen. Diese Militärbevölkerung wurde mit der Zeit zu einem 
				Bestandteil des Kiewer Fürstentums und beteiligte sich aktiv in 
				seinen Angelegenheiten, besonders bei der Wahl des Fürsten. Sie 
				spielte die Rolle einer Wache gegen die Polovci, so wie es 
				später auch die Kasaken in Polen gegen die Tataren benutzt 
				wurden. Die Schwarzen Klobuken wohnten hinter dem Fluss 
				von Ross, und die Kasaken erschienen anfangs auf denselben Orten 
				und in denselben Funktionen – bemerkt der Autor. Nach Pogodin 
				ist diese Beziehung sehr „spürbar“: der Name Čerkassi, 
				hinzugefügt in der Voskressenskaja Handschrift zu der Benennung 
				der Schwarzen Klobuken, stellte die eine Verbindung dar, 
				und ihr eigener Name war ihrerseits auch mit der Benennung von 
				Karakalpaken verbunden.
				
				Damit übernahm er die Ideen N. Karamsins, der die Möglichkeit 
				zuließ, dass sich die Schwarzen Klobuken vor den Tataren 
				auf die Inseln Dnjeprs versteckten und in der Folge russische 
				städtische Flüchtlinge aus der militärischen Stand zu ihnen 
				anschlossen. So konnten die östlichen Stämme unter dem 
				russischen Einfluss den „christlichen Glauben“ übernehmen, „doch 
				sie hinterließen ihre Spuren in der alten kasachischen 
				Physiognomie“.
				
				„Aus diesen zwei Elemente entstanden die Kasaken“ – schließt der 
				Verfasser, – „die die Geschichte des 15. Jahrhunderts eben dort 
				begegnet, wo wir nun die Torken und Berendei verlassen – in den 
				Städten der Čerkassen, nah an der Mündung von Ross“.
				 
				
				In den 70er Jahren 
				des 19. Jahrhunderts wurde das Werk des russischen Byzantinisten 
				Vassilij Grigorjevič Vassiljevskij über die Beziehungen 
				Konstantinopels mit den Petschenegen veröffentlicht.
				
				Darin werden an vielen Stellen Angaben auch über die Kumanen 
				gegeben, inwieweit sie sich in den chronologischen und 
				thematischen Rahmen der untersuchten Problematik einschrieben. 
				Nach Vassiljevskij war die Eroberung Bulgariens durch den Kaiser 
				Vassilij II. ein taktischer Fehler mit dauerhaften Nachfolgen 
				für das Kaiserreich gewesen. Sie brachte großen Schaden mit 
				sich, indem sie das System des byzantinischen Gleichgewichts am 
				Norden störte. Und wenn die Felder Bulgariens von dem 
				„byzantinischen Pogrom“ nicht entvölkert wären, gäbe es keine 
				Notwendigkeit, Versuche zu ihrer erfolglosen Kolonisation durch 
				wilden Nomaden zu unternehmen. In dem Vakuum, gebildet nach der 
				Zerschlagung des bulgarischen Zarenreichs drangen zuerst die 
				Petschenegen und nach ihnen – die Uzen und die Kumanen ein, die 
				für das Byzanz nicht weniger fürchterliche Feinde als die 
				Seldschuktürken waren.
				
				Der Autor findet als einen Fehler die Unterscheidung zwischen 
				Turken [die Türkvölker] und Türken, ohne die nahe 
				verwandtschaftliche Verbindung der einzelnen ihrer Stämme zu 
				berücksichtigen. Dabei waren die Petschenegen und die „Uzen oder 
				Kumanen“ eben solche Türken, wie auch die Seldschuktürken – 
				meint Vassiljevskij. Das Kumanische Wörterbuch diente als einen 
				„überzeugenden und anschaulichen Beweis“ für die vollständige 
				Ähnlichkeit der polovcischen Sprache mit der 
				„türkisch-tatarischen Mundart“, und die byzantinischen Quellen 
				teilen direkt mit, dass Petschenegen und Kumanen ein und 
				dieselbe Sprache redeten. Andererseits, wäre die 
				„Einstämmigkeit“ der Petschenegen und Seldschuken nicht aus dem 
				Blick verloren, hätte man die Geschichte den Zusammenhang 
				zwischen den Petschenegeneinfällen auf dem Balkan und den 
				seldschukischen Erfolge in Kleinasien schnell begreifen, weil am 
				Ausgang des 11. Jahrhunderts „die europäische und die asiatische 
				Invasion“ zueinander bereits eine Hand zu reichen bestreb waren.
				
				So lancierte Vassiljevskij eine These, die in der Epoche der 
				verstärkten russisch-türkischen Konfrontation vielleicht 
				glaubwürdig klang, als auch die Turkologie als eine Wissenschaft 
				noch in ihres „Kinderalters“ stand. Diese Idee, die heute mit 
				den Visionen Samuel Huntingtons in Einklang steht, war 
				regelmäßig von den späteren russischen Forschern wiederbelebt. 
				In neuerer Zeit unterstützte die sowjetische Archäologin 
				Svetlana Pletnjova auch die These einer gemeinsamen 
				uzisch-seldschukischen Front gegen Konstantinopel, indem sie z. 
				B. schrieb, dass „die Gusen des nördlichen Stromes die Absicht 
				hatten, die südrussischen Steppen zu überqueren und sich im 
				Byzanz mit den Hautkräften der Seldschuken zu vereinigen“.
				
				Sie spricht zwar von Gusen (d. h. Usen, Uzen) 
				und Vassiljevskij von den ihnen verwandten Petschenegen, doch 
				waren nach ihm die Uzen gleichstämmig mit den 
				Petschenegen und sie stellten „einen der stärksten Stämme 
				derjenigen Horde, die später in Europa die Benennung 
				kumanische oder polovcische erhielt“.
				
				Damit schloss sich der Gelehrte zu der in seiner Zeit allgemein 
				akzeptierten Gleichsetzung zwischen den Uzen und den Kumanen an. 
				
				Mitte desselben 
				Jahrzehnts erschien den Aufsatz des russischen Orientalisten 
				Vassilij Vassiljevič Grigorjev über die Wechselbeziehungen 
				zwischen den Nomaden und den sesshaften Staaten,
				
				der mit der verwendeten vergleichenden Forschungsmethode bei der 
				Suche nach einem eventuellen Gemeinmodell, interessant ist. 
				Darin werden diachronisch die einzelnen Besonderheiten in der 
				Geschichte der Reitervölker dargestellt, die auch unter den 
				Nomaden der Kiewer Periode nachzuspüren sind. „Die gleichen 
				Bedingungen verursachen gleiche Erscheinungen“ – formuliert der 
				Autor seine Hauptthese noch am Anfang der Arbeit. Dieses Gesetz 
				fühlt sich spürbar in den Beziehungen der Nomaden mit den 
				sesshaften Staaten, die mit ihrer „Gleichförmigkeit bis in die 
				kleinsten Einzelheiten“ erstaunen. Als wir ihre Geschichte 
				studieren, stoßen wir ständig auf „eine und dieselben 
				Bestrebungen, eine und dieselbe Politik, ein und dasselbe 
				Verfahren“ zur Erreichung ihrer Ziele, unabhängig davon, ob es 
				sich um die Hyksos in Ägypten, um die Skythen (die Saka), um die 
				„Geten (jue-ti)“,
				
				um Ussunen und Alanen, um die Hunnen, Bulgaren und Awaren, um 
				die Türken und die späteren Petschenegen, Uzen und Kiptschaken 
				(d. h. Polovci, Kumanen) oder um Mongolen, handelt. Grigorjev 
				zeigt vier charakteristische Besonderheiten, womit sich die 
				Einfälle der Nomaden und ihre Herrschaft über die sesshaften 
				Länder abzeichneten: (1) die äußerste Gewandtheit, womit sie die 
				sesshaften Völker überwunden, trotz der größere Anzahl der 
				Agrarbevölkerung und das Vorhandensein befestigter Städten; (2) 
				die barbarische Einstellung zu allem, was von den Besiegten 
				geschaffen wurde – Wohnungen, Tempel, Schlösse, Grabstätte, 
				Kunstwerke, deren Vernichtung den Siegern offensichtlich keinen 
				Nutzen brachte;
				
				(3) die Absage von einer direkten Verwaltung der unterworfenen 
				Länder – sie wurden in den Händen einheimischer Herrscher 
				übergelassen, die in Untertanen, d. h. Werkzeuge zum 
				Herausziehen von Steuern und allerlei anderen Nutzen zu Gunsten 
				der Sieger, verwandelt wurden; (4) eine Sicherung der 
				Gehorsamkeit des eroberten Landes mittels Aufstellen darin in 
				den für das Ziel geeigneten Orten von größeren oder kleineren 
				Teilen der siegreichen Horde. Als er die Rhythmik der 
				nomadischen Einfälle in den sesshaften Gebieten nachfolgt, kommt 
				der Autor zu dem Schluss, dass sie nicht immer willkürlich 
				waren, sondern auf die Stöße zurückzuführen sind, die von 
				benachbarten stärkeren Stämmen bekommen wurden. Es sind keine 
				Fälle bekannt, dass die Nomaden freiwillig aus ihrer Heimat 
				emigrierten. Ihr Stürzen auf die sesshaften Länder wurde von der 
				Notwendigkeit verursacht, ein anderes Territorium zu bewältigen, 
				worauf sie existieren können. Auf diese Weise verwandelten sich 
				die Verjagten und Verfolgten selbst in Sieger und Verfolger – 
				zwei gegenseitig bedingten Tatsachen, die in der Geschichte der 
				Nomadenwelt ständig zu beobachten sind.
				
				Nicht immer konnten aber die „räuberische Söhne der Steppe“ ein 
				gegebenes Land erobern. Oft bindet sich zwischen den 
				eindringenden Nomaden und den ihren Druck unterlegten Staat 
				einen beharrlichen Kampf, der manchmal ganze Jahrhunderte 
				dauerte und „eine Wiederholung einer und derselben Erscheinungen 
				darstellte“. Wenn sich die Nomaden nicht stark genug für die 
				Unterwerfung seines sesshaften Nachbars fühlten, begrenzten sie 
				sich dann damit, unaufhörlich die Grenz- und sogar die 
				Innengebiete zu stören, ihre Bevölkerung in Gefangenschaft zu 
				schleppen, ihr Besitz, ihre Wohnungen und die 
				Gesellschaftsanlagen zu vernichten. Ihrerseits gingen die 
				Regierungen der sesshaften Völker auch auf eine ähnliche Weise 
				heran, indem sie: (1) die Sicherheit auf den Preis der 
				moralischen Erniedrigung und materieller Opfer loskauften und 
				sich eine Steuer zu zahlen verpflichteten,
				
				die nur zum Anstand als „Geschenke“ definiert wurde;
				
				(2) mit nomadischen Herrschern Eheverträge schlossen, auch mit 
				geeigneten Geschenken begleitet; (3) Verteidigungsgrenzwalle 
				errichteten oder entlang der breiten Grenzflüsse eine Reihe von 
				Befestigungen schufen, die „Kriegslinie“ benannt wurden; (4) in 
				einzelnen Fällen selbst Steppenfeldzüge unternahmen, die wegen 
				der Schwierigkeiten bei der Versorgung der Truppen mit Proviant, 
				dem Mangel an Wasser, der Müdigkeit von den längen Übergängen 
				und der ungünstigen Klimabedingungen, oft erfolglos endeten; (5) 
				Versuche zur „Milderung“ der Gewohnheiten der Nomaden und ihrer 
				„Einbeziehung zur Zivilisation“ machten – durch Anknüpfung von 
				Handelsbeziehungen mit ihnen oder durch Einsiedlung unter 
				bestimmten Voraussetzungen von ihren Teilen auf ihr eigenes 
				Territorium. Diese Einbeziehung hatte jedoch fatale Konsequenzen 
				für die Barbaren. Die Nomaden waren Herren im eroberten Land 
				nur, bis sie ihre „Nationalität“ und ihre „Absonderung“ von der 
				einheimischen Bevölkerung bewahren konnten. „Die Einbeziehung 
				zur Kultur der letzten, die Aneignung ihrer Lebensweise, 
				Gewohnheiten, Sitten, Begriffe, in einem Wort – die Vereinigung 
				mit den Unterworfenen erwies sich immer verderblich für die 
				Steppensieger“. Bei einer solchen Vereinigung verloren sie die 
				Energie, der sie ihr ursprüngliches Übergewicht verdankten, und 
				aus der besiegten Bevölkerung übernahmen sie, „wie auch allerlei 
				Nachahmer, überwiegend ihren Mangel“.
				
				Mit der Zeit standen die Sieger in moralischer Hinsicht 
				niedriger als die Besiegten, weswegen sie vertrieben oder 
				vernichtet wurden. Die in der Steppe selbst entstandenen 
				Nomadenreiche brachen entweder von inneren Zwischenkämpfen 
				zusammen, oder wurden unter den Schlägen anderer nomadischen 
				Eroberer untergegangen. Nach der Auffassung des Autors, gelang 
				es nur Russland den Nomaden vollständig zu unterwerfen, und zwar 
				erst in den Bedingungen der neuen Zeit im 18. Jahrhundert, vor 
				allem dank der Schaffung drinnen in der Steppe von russischen 
				Militärkolonien und das Errichten darin von eigenen 
				Befestigungen.  
				
				Die Rolle der 
				Nomaden in der frühen russischen Geschichte wird auch in den 
				Arbeiten von Nikolaj Jakovlevič Aristov behandelt. Noch in den 
				60er Jahren kommt er zu dem Schluss, dass in dem ständigen Druck 
				der Steppe eine der Hauptursachen für die aufgehaltene 
				Wirtschaftsentwicklung Russlands gesucht werden müsste. Mit 
				ihren Einfällen störten die Petschenegen, Torken und Polovci den 
				Handelswarenaustausch am Dnjepr, Dnestr, Don und Donau – meint 
				der Gelehrte. Darum mussten die Karawane zwischen dem 10. und 
				11. Jh. bewaffnet sein, sich in Begleitung von Militärtruppen 
				bewegen und mit den Petshenegen und den Polovci kämpfen, die 
				ständig den Russen hinderten, die Handelswege zu benutzen.
				
				Eine Einzeluntersuchung widmete Aristov der historischen 
				Geographie des sogenannten Polovcischen Feld (pole 
				poloveckoe). Darin versuchte der Autor, das 
				Verbreitungsterritorium der kumanischen Stämme in Südrussland zu 
				skizzieren, indem er sowohl die Information aus den 
				Chronikangaben, als auch das aufbewahrte toponymische Material 
				analysierte.
				
				Der Gelehrte definiert die Polovci als die gefährlichsten 
				nomadischen Feinde Russlands. Gegen sie führten die russischen 
				Fürsten vor allem einen Verteidigungskrieg, wobei sie zu diesem 
				Zweck ein Befestigungssystem entlang der Strömung des Flusses 
				von Ross errichteten. Als sie jedoch ihrerseits imstande waren, 
				gemeinsame Feldzüge in die Steppe zu organisieren, haben die 
				Polovci „nie den gemeinsamen Druck von ein paar Fürsten 
				auszuhalten“. 
				
				Ein Interesse aus 
				dieser Zeit stellt ferner den Aufsatz von P. Burčakov über die 
				ethnische Geschichte der Kumanen und ihre geographische Lage in 
				Russland dar.
				
				Entgegen einiger seinen Zeitgenossen glaubte der Autor, dass 
				Polovci und Kumanen ein und dasselbe Volk waren. 
				Seine natürliche Grenze mit Russland war entlang des Flusses von 
				Dnjepr und, um dies zu beweisen, fügte Burčakov ausführliche 
				Beschreibungen der Feldzüge der russischen Fürsten nach den 
				Chronikzeugnissen bei. Er versuchte auch, das „polovcische Land“ 
				auf Grund der in den russischen Quellen enthaltenen Angaben zu 
				lokalisieren, wobei er betonte, dass für die Lösung des 
				kumanischen Problems auch die Angaben der Kraniologie, der 
				Archäologie und der Linguistik herangezogen werden müssen. In 
				Zusammenhang mit der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der 
				Nomaden meinte Burčakov nicht, dass sich die Polovci mit 
				Landwirtschaft und Handel beschäftigten. Nach ihm hatten sie 
				auch kaum Städte, weil „die Russen oft die Befestigungen von 
				Pfähle, Pferdewagen oder Äste, die in einem Tag gemacht wurden, 
				als Städte bezeichneten“. Burčakov war aber vielleicht der erste 
				Gelehrte, der eine Aufmerksamkeit auch an die Ähnlichkeit der 
				sogenannten polovcischen „Stein-Babas“ im Gebiet von Asow 
				mit den gleichartigen Steinfiguren in Sibirien widmete, und dies 
				gab ihm den Grund im Einklang mit einigen Quellenangaben zu 
				vermuten, dass höchstwahrscheinlich die Kumanen nach Europa aus 
				dem Gebiet von Sibirien kamen. 
				
				Einen besonderen 
				Platz nimmt in der russischen historischen Literatur des 19. 
				Jahrhunderts die rechtswissenschaftliche Dissertation von Mihail 
				Dmitrjevič Zatyrkevič über den Einfluss des Kampfes mit den 
				Nomaden beim Gestalten des russischen Staates.
				
				Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen, die in den Petschenegen 
				und Kumanen nur ein restriktives, die Entwicklung aufhaltendes 
				Element sahen, dessen Tätigkeit sich vor allem in Räuberei und 
				Verwüstungen erschöpfte, lancierte der Autor die Idee, dass 
				gerade der Kampf zwischen den sesshaften und nomadischen Völkern 
				die „bewegende Grundlage“ der ganzen alten und mittelalterlichen 
				Geschichte darstellte. In seinem Lauf formierten sich alle 
				Staaten, auch der russische Staat. Gemäß Zatyrkevič, hatte das 
				Erscheinen der Polovci in der Steppe eine entscheidende 
				Bedeutung für die politische Entwicklung Osteuropas, weil sie – 
				im Unterschied zu ihrer Vorläufer – keine Eroberungsziele 
				verfolgten. Um sich ihren Überfallen entgegenzusetzen, wurden 
				die russischen Fürsten dazu gezwungen, Verteidigungsgrenzanlagen 
				zu errichten und Städte zu bauen, die sie mit Gefangenen und 
				Nomaden ansiedelten, welche in Russland eine Zuflucht suchten. 
				Im Prozess der Erweiterung der russischen Länder auf den Kosten 
				der Steppe wurden die Nomaden allmählich zu einer überwiegenden 
				Bevölkerung und damit barbarisierte sich den Staat. So entstand 
				in der Praxis der erste russische Staat, der fast alle slawische 
				Städte des östlichen Europas in einem politischen Ganze 
				vereinte, unter dem Einfluss der östlichen Nomaden, wobei sich 
				mit der Zeit die Eroberer und Eroberten zu einem neuen Volk 
				vereinigten. Wie es in der Epoche des (groß)russischen 
				Nationalismus zu erwarten wäre, verursachte diese Konzeption 
				negative Reaktionen unter der imperialen wissenschaftlichen 
				Öffentlichkeit. Dem Autor wurde vorgeworfen, dass er absichtlich 
				im Verlauf der russischen Geschichte eben diejenigen Züge 
				suchte, die für die Vergangenheit Westeuropas charakteristisch 
				waren, dass er auf eine unbegründete Weise die „barbarische 
				Herkunft“ des russischen Staates zu beweisen versuchte und die 
				Interpretation des faktologischen Materials seiner 
				„ausgedachten“ Theorie unterordnete. 
				
				*        *        * 
				
				1880 
				veröffentlichte der Fürst Géza Kuun den vollen Text des in 
				Venedig aufbewahrten Sammelbandes, dessen ersten Teil von J. 
				Klaproth ediert wurde, und gab ihm den Name Codex Cumanicus 
				– eine Bezeichnung, unter welcher das Denkmal schon heute noch 
				in der wissenschaftlichen Literatur bekannt ist. Die Ausgabe 
				fand breiten Anklang in der gelehrten Welt und verursachte eine 
				Reihe von Sekundäruntersuchungen sowohl über die Geschichte, als 
				auch über die Sprache und die ethnische Zugehörigkeit der 
				spätmittelalterlichen Nomaden. Mit Anwachsen der Kenntnisse 
				darüber wurden die Voraussetzungen für die darauffolgende 
				Verwandlung der Kumanen zu einem selbständigen Objekt des 
				wissenschaftlichen Interesses geschaffen. Dazu trug bis zu einem 
				großen Grade Pjotr Vassiljevič Golubovskij bei, der in den 80er 
				Jahren des 19. Jahrhunderts einige Untersuchungen über die 
				östlichen Völker, einschließlich eine ganze Monographie über die 
				Petschenegen, Torken und Polovci widmete, die das erste 
				zusammenfassende Werk über diese Problematik in der russischen 
				Geschichtsschreibung ist.
				
				Darin behandelte der Verfasser sechs Hauptthemen, die sich in 
				den Benennungen der einzelnen Kapitel widerspiegeln, wobei er 
				nachzuspüren versuchte, inwieweit und auf welche Weise die 
				Nachbarschaft der Nomaden auf das politische Leben des alten 
				Russlands einen Einfluss hatte, wie „die Beziehungen zwischen 
				Türken und Slawen“ waren und wie sich diese Nachbarschaft auf 
				den Lauf der russischen Geschichte einwirkte? 
				
				Um den gestellten 
				Ziele realisieren zu können, bot Golubovskij zuerst eine 
				Beschreibung der Steppe vor dem Erscheinen der Petschenegen dar. 
				Dieses Kapitel, das eine eigenartige Einführung in die 
				Problematik darstellt, enthält interessante Beobachtungen über 
				den Charakter der osteuropäischen Tiefebene, deren südlichen 
				Steppenteil immer ein „Theater von ständigen, dauerhaften 
				Zusammenstösse der sesshaften Bevölkerung mit den sich einander 
				ablösenden nomadischen Stämmen“. Der Autor führt Argumente 
				zugunsten der These auf, dass einst auch im Süden große 
				Waldmassive existierten, die infolge der unaufhörlichen Bewegung 
				der Nomadenmassen und des für Russland üblichen Verfahren einer 
				Landbebauung, die in sich auch später im 14.-15. Jh. das 
				Abholzen und Niederbrennen der Wälder einschloss, verschwanden. 
				Er ist der Ansicht, dass dieser Prozess noch beim Ansiedeln der 
				Slawenstämme anfing, welche, um sich von einem Fluss-System nach 
				dem anderen zu gelangen und später auch für die Bedürfnisse der 
				Landwirtschaft, die Waldterrain aufräumten. In der Folge aber, 
				als das Asien „Massen von Nomaden-Gewalttäter gegen die 
				sesshafte slawische Bevölkerung“ zu speien anfing, verwandelte 
				sich der Wald vom Feind zu einem Beschützer, so wie es woanders 
				die einheimischen Bewohner einen Schütz in den Gebirgen suchten. 
				Dies führte zu einer langsamen und dauerhaften Zurückziehung der 
				Slawen nach Norden und Westen. Die besten Helfer und Beschützer 
				bei ihrem Rückzug waren die Wälder – das natürliche Hindernis 
				vor dem Nomade, das seine verheerende Einfälle aufhielt.
				
				Ein großer Teil dieses Kapitels widmet Golubovskij der Frage der 
				Anwesenheit von Slawen an der Schwarzmeerküste in den heutigen 
				Steppenräumen, deren Ansiedlung dort er ins 1. oder 2. Jh. u. Z. 
				anzusetzen geneigt ist, obwohl die ersten Nachrichten über sie 
				erst vom 6. Jh. waren. Er erwähnt beiläufig Goten, Hunnen und 
				Awaren, verweilt ein bisschen mehr bei den Chasaren und dem 
				Chasarien selbst, das er als „eine Stütze des Slawentums am 
				Osten“ definiert,
				
				doch all dies benutzte er – wie es scheint – mehr als einem 
				Hintergrund, um das Vorhandensein von Slawen am Pontus, Wolga 
				und Don noch im Altertum zu begründen. Damit beschrieb der Autor 
				nicht die ethnische Steppengeschichte selbst, wie es sich aus 
				der Bezeichnung des ersten Kapitels zu erwarten wäre, sondern 
				brachte er ethnohistorische „Argumente“ für die imperialen 
				Ansprüche Russlands gegenüber Gebiete und Regionen, die vor 
				allem mit türkischsprachigen Bevölkerung besiedelt wurden. 
				Seiner Meinung nach, hat die Bewegung der Nomadenmassen vom 11. 
				Jh. an „die kulturelle Entwicklung der südrussischen Stämme 
				aufgehalten, indem sie sie aus den Küstenländern verdrang, und 
				damit veränderte sie viel das Schicksal des ganzen Russlands 
				überhaupt“. 
				
				Bevor sich mit der 
				Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Russland und die Nomaden 
				zu befassen, versuchte Golubovskij die Frage der 
				„Stammesverwandtschaft und der Herkunft von Petschenegen, Torken 
				und Polovci“ zu lösen. Dieses Kapitel, zum Andenken von N. 
				Karamsin gewidmet, ist ein des beitragsvollsten in der ganzen 
				Monographie. Es deckt sich teilweise mit dem 1884 
				veröffentlichten Artikel des Gelehrten über die Gleichheit der 
				Uzen und Torken,
				
				der sich aber nur auf einen Aspekt der ganzen Problematik 
				konzentriert. Der Autor ist der Meinung, dass der Name der 
				Petschenegen aller Wahrscheinlichkeit nach unter den anderen 
				Völkern von den russischen Slawen herkam, er schließt aber auch 
				die Möglichkeit nicht aus, dass sie ihn ihrerseits von den 
				Ungarn gelernt haben. Er zählt die unterschiedlichen Varianten 
				der Benennung auf, die offensichtlich zu ein und derselben 
				Ausgangsform führten. Nach ihm waren sie alle die Einstellung 
				eines Namens „der – wie es scheint – den Petschenegen von 
				Fremden gegeben wurde“.
				
				Die darauf in Europa erschienenen Polovci wurden auch mit 
				allerlei Namen bekannt. Der Angabenvergleich in den 
				verschiedenen Quellen zeigt, dass sie sich zu ein und demselben 
				Volk bezogen, das von den Russen als Polovci, von den 
				byzantinischen und westlichen Chronisten als Komanen oder
				Kumanen, und von den muslimischen Schriftsteller als 
				Kiptschaken, bezeichnet wurde. Auf dieselbe Weise sucht 
				Golubovskij eine Antwort auf die Frage, ob die Polovci 
				mit den Uzen gleichgestellt werden müssen (eine Ansicht, 
				die von Bayer, Thunmann, Suhm, Hunfálvi und einigen anderen 
				Autoren vertreten wurde), oder ob die Uzen nicht mit den 
				in der russischen Chroniken erschienenen Torken identisch 
				sind (wie es Karamsin, Pogodin, Ilovajskij, Brunn u. a. 
				dachten)? Diese Frage hatte eine große Bedeutung für die 
				Bestimmung des Charakters der Siedlungen der Schwarzen 
				Klobuken in Russland und war außerdem auch mit der Frage 
				nach der Urheimat der Nomaden eng verbunden. Darum verweilt der 
				Autor ausführlich bei ihr, indem er den Nachrichten in den 
				verschiedensprachigen Quellen einer vergleichenden Analyse 
				unterzieht, um am Ende zu beschließen, dass (1) die Kumanen,
				Kiptschaken und Polovci ein und dasselbe Volk 
				waren; (2) die Uzen eigentlich die Torken aus den 
				russischen Chroniken darstellten; und (3) die europäischen 
				Schriftsteller in Europa drei einzelne Stämme kannten: 
				Petschenegen, Torken-Uzen und Polovci.
				
				Sie alle, zusammen mit den Seldschuken- und Osmanentürken, 
				gehörten zu ein und derselben türkischen Familie, waren Zweige 
				ein und desselben Stammes, der einst in den Gebieten 
				Zentralasiens umherwanderte.
				
				Eine Bestätigung dafür findet Golubovskij in den Resten aus der 
				Sprache der Kumanen, die im sogenannten „Kumanischen 
				Wörterbuch“, ediert zweimal 1828 und 1880, aufbewahrt wurden. Er 
				wirft die Zweifel Kuniks zurück, dass das Wörterbuch eher 
				tatarische oder nogaische Wörter enthielt und die Benennung „kumanisch“ 
				einfach eine geographische Benennung war, weil nach dem Datum 
				seiner Kompilierung (1303) keine Schlussfolgerungen über die 
				Zeit des Aufschreibens der türkischen Glossen gemacht werden 
				müssen. Zweifellos wurden solche Wörterbücher auch früher 
				ausgearbeitet, so dass der Codex Cumanicus auf Grund von 
				eingesammelten Materialien angefertigt sein könnte. 
				Aufschreibungen von türkischen Wörtern wurden einst auch in 
				Russland gemacht. Dies bestätigt sich von dem vom Fürsten 
				Obolenskij gefundenen Auszug eines Wörterbuches. Bei seinem 
				Vergleich mit Codex Cumanicus wurde ersichtlich, dass die 
				beiden Quellen „Reste“ ein und derselben Sprache (polovcische, 
				kumanische) enthielten, die dem Tatarischen entfernter stand. 
				
				In der Monographie 
				wird die Hauptaufmerksamkeit auf die Beziehungen der Nomaden mit 
				Russland konzentriert. Das entsprechende Kapitel, das sich auf 
				mehr als 110 Seiten ausbreitet, umfasst fast die Hälfte des 
				ganzen Werkes. Es ist auf die Basis eines sehr reichen 
				faktographischen Materials geschrieben. Indem seine Ausführung 
				mit der ersten Erwähnung der Petschenegen in den russischen 
				Chroniken unter 915 und mit der Lokalisierung ihrer Hauptstämme 
				anfängt,
				
				zeigt Golubovskij, wie sich diese Beziehungen während der fast 
				vier Jahrhunderte langen Anwesenheit der Petschenegen, Torken 
				und Polovci in den südrussischen Steppen, entwickelten. Es 
				gelingt ihm, die Richtungen der nomadischen Einfälle in Russland 
				und die Ausgangspunkte der Feldzüge der russischen Fürsten in 
				die Steppe, nachzuspüren, wobei er bestrebt war, eine 
				unvoreingenommene Einschätzung über die Verteidigungs- und 
				Offensivkämpfe der russischen Fürsten darzubieten, und die 
				Ursachen zu zeigen, die sie hinderten, im Laufe einiger 
				Generationen mit der Nomadengefahr fertig zu werden. Indem er 
				den Inhalt der Beziehungen mit den Petschenegen aufzeigt, betont 
				der Autor ihren vielseitigen Charakter. Die östlichen Nomaden 
				haben nicht nur räuberische Überfälle in Russland unternommen, 
				sondern sie sind auch als Söldner in den Truppen der russischen 
				Fürsten (z. B. beim Feldzug nach Byzanz vom 944) eingenommen, 
				und von ihnen außerdem als Hilfstruppen in den inneren 
				Auseinandersetzungen angezogen worden. Nach ihrer Zerschlagung 
				1019 floh einen Teil der Petschenegen über den Donau und andere 
				wurden in den südlichen Gebieten Russlands angesiedelt.
				
				Auf dieselbe Weise ließen sich auch die Torken, die nach ihrer 
				zweiten von den russischen Slawen zugefügten Niederlage am Leben 
				blieben, im südlichen Russland nieder, und, indem sie bis zu 
				einem großen Grade ins einheimischen Milieu assimilierten, 
				bildeten sie zusammen mit den Petschenegen den Kern des „schwarzklobukischen“ 
				Verbandes.
				
				Er spielte eine wesentliche Rolle in der russischen Geschichte. 
				In dem Flussgebiet von Ross als Grenzwache der russischen 
				Fürstentümer angesiedelt, hatten die Černye Klobuki eine große 
				Bedeutung im politischen Leben des Landes. Sie dienten nicht nur 
				als „leichte, bewegliche Armee“ zur Verfolgung der Polovci,
				
				sondern waren auch aktive Teilnehmer in den inneren 
				Geschehnissen Russlands. Andererseits, indem sie sich im 
				slawischen Milieu auflösten, brachten die Schwarzen Klobuken 
				ein neues türkisches Element darin  ein. So beeinflussten sie 
				die Slawen auch in kultureller Hinsicht, da – gemäß Golubovskijs 
				– die Nomaden Vertreter einer stärkeren Kultur und standhafteren 
				Lebensweise waren, als das Slawentum mit seinem urewigen 
				Bestreben nach Dezentralisierung und autonomer Existenz. Der 
				Autor teilt der Meinung der meisten Forscher mit, dass die 
				Polovci die größte Gefahr für Russland in der vormongolischen 
				Periode darstellten. Ihre Armee, eine gute Militärorganisation 
				besitzend, war eine gefährliche Macht. Deshalb spiegelten sich 
				auch die politischen Interessen der russischen Fürsten am 
				grellsten in ihren Beziehungen zu diesem Volk. Als Beispiel 
				zeigt er die Politik des Fürsten Oleg von Nowgorod-Sewersk, der 
				sich von Feldzüge in die Steppe zurückhielt, gute Beziehungen 
				mit den Nomaden bewahrte und 1107 sogar seinen Sohn Svjatoslav 
				für die Tochter des Chanen Aepa heiraten ließ, dies aber 
				hinderte ihm nicht, bei der Verteidigung der Grenzen seine 
				Kräfte mit den anderen Fürsten zu vereinigen.
				
				Nach Pogodin widmete auch P. Golubovskij eine Aufmerksamkeit den 
				unterschiedlichen Abhängigkeitsgrad der einzelnen Fürstentümer 
				von der Steppe. An stärksten Verwüstungen wurde das Fürstentum 
				von Perejaslawl unterzogen. Wegen seiner geografischen Lage als 
				Vorposten Russlands und der gedehnten Grenzen am Osten nahm es 
				die ersten Schläge der Nomadenmassen auf sich auf.
				
				Doch auch andere Fürstentümer, so etwa die von Rjasan und 
				Sewersk, litten von den Einfällen. Manchmal gingen ihrerseits 
				die russischen Fürsten zum Angriff über, indem sie Feldzüge in 
				die Steppe mit dem Zweck einer vorbeugenden Grenzenverteidigung 
				oder Bewachung der Handelswege, organisierten.
				
				Letzten Endes erwies sich Russland als Sieger in dem 
				Jahrhunderte langen Kampf – darin zerbrachen alle Nomadenwellen. 
				Dies war auch seine große Bedeutung für den welthistorischen 
				Prozess, da Russland selbst „auf seine eigene Schultern“ diesen 
				Kampf austrug, und so „mit seinem ganzen Brust Europa deckte“.
				
				Natürlich, wirkten 
				die ständigen Einfälle der Nomaden auf den allgemeinen Zustand 
				des Landes, indem sie – nach Golubovskij – die unregelmäßige 
				Entwicklung in den nördlichen und südlichen Gebieten des alten 
				russischen Staates bedingte. Während sich am Norden „die neuen 
				Staatsideen festigten“, eine erfolgreiche Kolonisation vor sich 
				ging, neue Städte gebaut wurden usw., musste die Bevölkerung am 
				Süden einen ständigen Kampf mit den Nomaden zur Verteidigung der 
				Grenzen führen, oder vor ihnen eine Zuflucht in den 
				gefahrloseren nördlichen Gebieten suchen. Am Süden konnte keine 
				„dauerhafte Ordnung“ auferlegt werden, weil die Nomaden selbst 
				(teilweise die Polovci), indem sie an der Seite bald des einen 
				bald des anderen Fürsten eintraten, zu einer „ausgleichenden 
				Kraft“ zwischen der einzelnen Machtbestrebungen wurden, und 
				damit für das Erhalten des alten föderativen politischen Aufbau 
				beitrugen. So fingen die südlichen Gebiete unter dem Einfluss 
				der nomadischen Nachbarschaft allmählich an, zu Gunst der 
				nördlichen abzuschwächen. 
				
				Indem er die 
				Beziehungen von Kiewer Russland mit den Petschenegen, Torken und 
				Polovci betrachtete, berührte Golubovskij auch manche Fragen, 
				die mit der Geschichte der Nomaden selbst, mit ihrer Lebensweise 
				und Kultur, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen 
				Verhältnissen usw., verbunden waren. Dieses Kapitel des Buches 
				ist relativ schwächer wegen des Fehlens genügender schriftlicher 
				Information über die fragliche Problematik. Der Autor versucht 
				dies zu kompensieren, indem er für diesen Zweck einzelne 
				archäologische Angaben heranzieht, doch verfügte die Archäologie 
				zu seiner Zeit noch nicht mit der notwendigen Menge von 
				Material, die präzisere Schlussfolgerungen erlauben könnte. 
				Golubovskij ist jedoch einer der ersten Gelehrten, der die Frage 
				über die Reflexion der Beziehungen zu der Steppe in der 
				mündlichen Volkskultur stellte. „Sehr viele Einzelheiten aus dem 
				Kampf mit den Nomaden spiegelten sich in den Bylinen – 
				unterstreicht er in der Ergänzung zu seinem Werk. – In diesen 
				alten Heldenliedern gibt es „eine direkte Erwähnung der 
				polovcischen Horde“, es wird auch „die Erinnerung am Feldzug 
				Končak’s vom 1184, an den Heiraten mit Polovcinnen, Erinnerung 
				an Šarukan…“ aufbewahrt.
				
				Damit lenkte er die Aufmerksamkeit auf einem bis dahin 
				unverwendeten Quellentyp und bewegte vielleicht auf diese Weise 
				auch M. P. Dimitrov zu seiner Untersuchung über dem „räudigen 
				Bonjak in den ukrainischen Volkssagen“.
				 
				
				Geschrieben mit der 
				Heranziehung eines reichlichen faktologischen Materials und 
				enthaltend eine Reihe von Beiträgen bei der Klärung der so 
				umstrittenen Problematik, blieb die Monographie Golubovskijs 
				eine Zeitlang das einzige zusammenfassende Werk über die 
				Geschichte der Nomaden in Russland, das als eine Grundlage für 
				weitere konkrete Untersuchungen auf dem Gebiet, diente. 
				
				*        *        * 
				
				Auch zu Beginn des 
				neuen Jahrhunderts nahm die Frage der Beziehungen zwischen 
				Russland und der Nomadenwelt einen wichtigen Platz bei der 
				Erforschung der russischen Vergangenheit weiter an. Das 
				nationale Herangehen an der Geschichte reflektierte jedoch 
				zweifelsohne auf dieses Thema. Jahrelang (auch während der 
				sowjetischen Periode) fühlte sich in den Arbeiten auf dem Gebiet 
				den Einfluss des „tatarischen Komplexes“, der als ob zu einer 
				der Hauptelemente beim Formieren der russischen nationalen 
				Identität geworden ist. Der Kampf mit der Steppe ist ein 
				unverändertes Motiv in der dem Kiewer Ruß gewidmeten Literatur, 
				das zur Abgrenzung der „Eigenen“ (die Slawen, die sesshaften 
				Bauern) von der „Fremden“ (die Türken, die Viehzüchter Nomaden) 
				beiträgt. Dazu legt sich die Vorstellung von der Wachenrolle 
				Russlands ein, das Europa vor den „asiatischen Horden“ 
				beschützte, und daher – von seiner Mission als Vorposten der 
				christlichen Zivilisation vor dem islamischen Druck. Diese 
				Entgegensetzung verstärkte sich von der imperialen Ausbreitung 
				nach Osten, als die Russen zu Verwalter und „Kulturträger“ in 
				den einverleibten Ländern wurden, und bei ihrer Modernisierung 
				auf den Kosten der traditionellen Lokalkulturen halfen. Sie 
				wurzelte sich so tief in den gesellschaftlichen Vorstellungen 
				ein, dass die Äußerungen einer positiven Einstellung gegenüber 
				den Nomaden und das Hervorheben der Einwirkung ihrer Kultur auf 
				die russischen Slawen auf einen ernsthaften Widerstand stießen. 
				
				Noch Karamsin und 
				nach ihm auch Ustrjalov bestimmten die Steppenvölker als 
				„unermüdliche/grausame Übeltäter“, die die wirtschaftliche 
				Entwicklung Russlands aufhielten – eine These, die später in den 
				Arbeiten von Aristov und den führenden russischen 
				Historiographen weiterentwickelt wurde. Für Kunik sind die 
				Nomaden „unhistorische“ und „die niedrigste Sorten der 
				Menschheit“. Auch Pogodin findet die Polovci für einen „räubererischen“ 
				Nomadenstamm, der von Beute lebte, und Solovjev argumentiert 
				bereits die These von der „uralten“ Rivalität von Asen und 
				Europa, vom Kampf zwischen „dem Wald und der Steppe“ 
				(beziehungsweise zwischen den sesshaften landwirtschaftlichen 
				und den herumziehenden Hirtenvölker, zwischen der städtischen 
				Kultur und der nomadischen Lebensweise), wobei er die Rolle des 
				russischen Widerstandes gegen die „Steppe“ für das Schicksal der 
				europäischen Zivilisation hervorhebt.
				
				Entstanden in der Zeit der russisch-türkischen Kriege im 19. 
				Jh., bediente diese Theorie ideologisch die Politik der 
				imperialen Ausdehnung und wurde von den meisten russischen 
				Historiker (so Ključevskij, Miljukov usw.) übernommen.
				
				Zu dem „Kampf mit der Steppe“ fügten Kostomarov und Gruševskij 
				auch die Idee des Kampfes zwischen dem staatsbildenden 
				Grundlagen der altrussischen Geschichte hinzu – nämlich zwischen 
				der föderativen Grundlage (bezeichnend für das „südrussische“ 
				oder ukrainische Volk, das nicht nur wegen seiner 
				„unterschiedlicheren Psyche“, sondern auch wegen der Einmischung 
				der Nomaden nicht imstande war, eine dauerhafte despotische 
				Ordnung aufzubauen) und der monarchische oder der „Grundlage der 
				Alleinherrschaft“ (die den „Großrussen“ eigen war),
				
				wobei sie die Schlussfolgerungen Golubovskijs wiederholten, dass 
				die Kočevniki für das Aufhalten der alten politischen 
				Ordnung und für das Schwächen des russischen Südens zugunsten 
				des Nordens beitrugen. 
				
				Die traditionellen 
				Einsichten über die Nomaden bewahrten ihre „Vitalität“ auch nach 
				der dramatischen sozial-politischen Wende im russischen Dasein. 
				Gewiss, wurden im Laufe der Umbewertung der „vorrevolutionären“ 
				Historiographie aus der Position der „marxistischen Ideologie“ 
				vielen der Konzeptionen der bis zum Ersten Weltkrieg angesehenen 
				russischen Historiker einer Kritik unterzogen. Besonders 
				engagiert damit war M. N. Pokrovskij – der „offizielle 
				Historiker der Leninschen und Stalinschen Periode der UdSSR. Er 
				versuchte aber auch, die Vorstellung über die Nomaden als eine 
				meist „dunkle asiatische Kraft“ einer Neubewertung 
				unterzuziehen, indem er darauf hinwies, das den Osten für das 
				Kiewer Russland dasselbe war, wie später Westeuropa für das 
				Russland von Peter dem Großen wurde. V. Parhomenko bestritt auch 
				die These der „zivilisatorischen Rolle“ des Kiewer Russlands und 
				hob hervor, dass die Kultur der Nomaden nicht arm war und sie 
				auf gar einen Fall „Barbaren“ waren. Doch er (sowie später auch 
				V. Gordlevskij) wurde von den traditionell eingestellten 
				Historikern kritisiert. Nach dem „Großen Vaterländischen Krieg“ 
				betrachtete K. V. Kudrjašov erneut Russland als ein „Schild des 
				europäischen Westens“ und A. I. Popov schrieb über das 
				„Räuberwesen“ der Nomaden, über die „beutegierige Horden-Staaten 
				Krim und Kasan“, über das russische „Urgewalt“ und über die 
				slawischen Scharen, die die Polovci wegfegten und „sowohl die 
				Macht der Tataren als auch die Kraft der Deutschen“ 
				niederschmetterten. 
				
				So wurden manche Ideen 
				– trotz der bedeutsamen politischen Erschütterungen, die alle 
				Bereiche des russischen Lebens betrafen – mit der Zeit 
				wiederbelebt, um sich aufbauend in der Mythologie der eigenen 
				Identität einzureihen. Und wenn heute die Vorstellung vom 
				eurasischen Wesen Russlands immer mehr Anhänger im Kontext der 
				geopolitischen Kräfteaufstellung und der neuen Umgruppierung im 
				Laufe des Globalisierungsprozesses findet, ist dies auch der 
				Müdigkeit von den jahrzehntelangen Sozialexperimenten zu 
				verdanken. Um eine Stütze in dem Taumel der ständigen Änderungen 
				zu finden, wendet die russische Intelligenz den Blick nach den 
				erprobten Symbolen der Vergangenheit zu, und sie schließen in 
				sich sowohl die Idee der gerechten „Väterchen Zar“ und der 
				Unermesslichkeit der „Mütterchen Russ“, als auch das imperiale 
				Selbstbewusstsein ein, mit dem gut bewahrten Erinnerung an der 
				vergangenen Erhabenheit, gestützt auch auf solche Phänomene, wie 
				die Opposition gegenüber den „wilden“ Kočevniki. |