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				1. Ein bißchen 
				Geschichte 
				
				  
				
				Bulgarien 
				kehrte 
				auf die 
				politische 
				Karte in einer Zeit zurück, als in Europa schon 
				längst ein 
				Prozeß der 
				Ethnisierung des 
				nationalen Begriffes 
				lieft, 
				zu deren Hauptmerkmale 
				(Gemeinschaft 
				der Sprache 
				oder der 
				religiösen Zugehörigkeit)
				einige viel 
				leicht zu interpretierende 
				und 
				auch zu manipulierende 
				Merkzeichen für die Bestimmung der Identität, wie z. B. die 
				Kultur im breitesten 
				Sinne des Wortes, die kollektive historische Erfahrung, das 
				eigene Selbstbewußtsein, die vermutliche ethnische Herkunft usw., 
				zugefügt wurden. 
				Gerade deshalb wurde 
				Bulgarien – wie alle andere postosmanische 
				Nachfolgerstaaten 
				– als einen
				Staat einer 
				ethnisch 
				definierten 
				Titularnation verstanden, auf deren Territorium jedoch größere 
				oder kleinere andersstämmige und andersgläubige Bevölkerungsteile 
				als Relikte der ethnokonfessionellen Buntheit im Region während 
				der imperialen Herrschaft lebten. 
				Und wieder wie in den übrigen (und
				nicht nur 
				balkanischen) Ländern bestimmte 
				die Vorstellung von der Nation als eine ethnisch bedingte Form 
				der sozialpolitischen und kulturellen Gemeinschaft die 
				Einstellung der regierenden Eliten zu den einzelnen 
				Minderheitengruppen sowie die Spezifika der ihnen gegenüber 
				getriebenen Staatspolitik.  
				
				Trotz mancher Nuancen 
				wurde 
				diese Politik 
				in der Kombination zwischen drei möglichen 
				Optionen eingeschränkt: 
				(1) in der „Abgrenzung“ oder Segregation der Minderheit 
				nicht selten mit Hilfe ihrer 
				frei- 
				oder unwilligen Unterstützung; (2) in der „Befreiung“ von 
				der Minderheit meistens durch Auswanderungen, aber auch durch 
				einige weit brutale Formen der „ethnischen Säuberung“; und (3) 
				in der „Einbeziehung“ oder Integration der Minderheit, 
				verstanden aber als eine „Integration in“ und nicht als 
				eine 
				„Integration mit“ der 
				Titularnation, woher die Einbeziehung auf die Kosten der sich 
				integrierenden Gruppe erfolgte, 
				die sehr 
				oft Elemente ihrer 
				ethnokulturellen 
				Besonderheit 
				verlor. 
				 
				
				Diese drei Vorgänge 
				sind in der Geschichte aller südosteuropäischen Staaten zu 
				finden. Die Maßnahmen, die jede davon zur Lösung eines 
				ethnonationalen Problems 
				ergreift, besonders wenn sie mit Unterdrückungen,
				mit 
				„ethnischer 
				Transformationen“ 
				oder mit 
				Auflösen einer 
				Gemeinschaft in der Titularnation verbunden sind, rufen 
				entsprechende Reaktionen in den Nachbarn hervor, was beim 
				Betrachten der minderheitlichen Problematik 
				in der 
				Region berücksichtigt werden muß. 
				
				Etwa nur 70% der 
				Bevölkerung des im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts 
				entstandenen neuen bulgarischen Staates waren ethnische 
				christliche Bulgaren. Die übrigen 30% umfaßten verschiedene 
				Minderheiten, die Mehrheit davon Muslime, worunter nur die 
				Türken ungefähr 24% der Gesamtbevölkerung ausmachten. Nach einer 
				über ein Jahrhundert lang währenden Entwicklung erreichten die 
				Bulgaren Ende 1992 die 85,67% der Bevölkerung, während die 
				Türken auf 9,42%, die Roma auf 3,69%, die Armenier auf 0,16% usw. 
				zurückwichen. Diese Angaben sind als relativ zu betrachten. 
				Vermutlich war die wirkliche Anzahl der ethnischen Türken 
				zur Zeit des Zensus nicht 800 052, sondern ungefähr 
				674 000 Menschen, an denen sich die als „Türken“ 
				angegebenen Roma und Bulgarmuslime angeschlossen wurden. Es 
				scheint mir auch die Anzahl der 313 376 Zigeuner 
				als inkorrekt zu sein. Offensichtlich wurden die sich schon in 
				den türkischen und bulgarischen ethnischen Gruppen integrierten 
				Roma davon ausgeschlossen. Noch im Jahre 1989 wurden nach 
				inoffiziellen Angaben des Ministerium des Inneren etwa 577
				000 Menschen (6,45% der Gesamtbevölkerung) von ihren 
				Nachbarn als „Zigeuner“ betrachtet und vielleicht sollte man 
				denjenigen Forschern Recht geben, die nach ähnlichen Kriterien 
				Mitte der 90er Jahre von ungefähr 700–800 
				000 Roma in Bulgarien sprechen. Natürlich erhöhen einige 
				Roma-Vertreter die Anzahl der heutigen Zigeuner in Bulgarien auf 
				über 1 Million Menschen, ähnlich wie man in den 
				nationalistischen Kreisen der Republik Türkei mit 3 Millionen 
				bulgarischen Türken (inklusive die Pomaken und die 
				türkischsprachigen Roma) rechnet. Für manche der anderen 
				traditionellen ethnischen Gruppen im Lande werden auch die vom 
				Zensus abweichenden Zahlenangaben vermutet. 
				
				Das Anwachsen der 
				Anzahl der ethnischen Bulgaren gegenüber den anderen Bewohner 
				des Landes verdankt man einer Reihe von Faktoren. Einerseits ist 
				dies auf ihren höheren natürlichen Zuwachs am Ausgang des 19. 
				und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückzuführen, sowie auf die 
				Übersiedlung von über einem Viertel Million Bulgaren aus 
				Thrazien und Makedonien 
				nach dem Ersten Weltkrieg (anderer Angaben zufolge sollten 
				annähernd 305 000 Bulgaren während der 20er 
				Jahre des 20. 
				Jahrhunderts 
				für das Ansiedeln von etwa einem halben Million griechischen 
				Flüchtlingen aus Kleinasien Platz einräumen). Andererseits aber 
				wird die Senkung der Minderheitenanzahl von 1/3 auf etwa 1/7 der 
				Gesamtbevölkerung auch als Ergebnis der ihnen gegenüber 
				getriebenen Politik zu betrachten, 
				die 
				die Auswanderungen einzelner Gruppen unterstützte oder 
				beförderte, beziehungsweise auf die Integration mancher 
				Minderheitenteile in 
				die 
				bulgarischen Titularnation einwirkte. 
				
				So wurde z. B. mit der 
				Zeit die griechische Minderheit, die 
				einst 
				in Ostrumelien die 
				dritte Position (5,2% der Gesamtbevölkerung) einnahm, drastisch 
				reduziert. Etwa 20 000 Griechen siedelten noch 
				1906-1910 aus Bulgarien aus. Neue 50 000 Menschen, 
				wenn nicht auch
				viel mehr, 
				folgten 1919-1925. Und obwohl der 
				griechische Bürgerkrieg über 4000 Emigranten 1948-1952 nach 
				Bulgarien vertrieb, geben heute nur etwa 8000 bulgarische Bürger 
				das Griechische als ihre Muttersprache an. Auch die Anzahl der
				Juden, die 1934 auf 48 565 Menschen belief (die 
				Hälfte davon in Sofia), wurde allmählich herabgesetzt. Nach der 
				Gründung des Staates Israel am 15. 
				Mai 1948 
				wanderten innerhalb eines Jahrs 32 106 Menschen nach 
				ihrer neuen Heimat aus, so daß am Ende 1951 in Bulgarien nur 
				7676 Juden verblieben. Der Sturz des kommunistischen Regimes 
				1989 eröffnete neue Möglichkeiten und bis zum Jahr 1992 
				emigrierten weitere 2400 Menschen nach Israel. Auf diese Weise 
				wurden die Juden, die einst viel zahlreicher als die Armenier 
				waren, Ende 1992 auf 3461 
				(und im Jahr 2001 auf 
				1363) Menschen 
				reduziert und mit ihren 0,04% 
				(0,02%) 
				der Gesamtbevölkerung 
				blieben sie
				weit hinter den 
				Russen, Armenier, den neu erschienenen Arabern, hinter Wallachen, 
				Karakatschanen, Griechen und Tataren. 
				Umgekehrt läßt 
				sich die steigende Anzahl der armenischen Bevölkerung 
				nicht zuletzt auch mit der Annahme im Lande von armenischen 
				Flüchtlingen aus der Türkei (ungefähr 20 000 Menschen 
				im Jahr 1896; über 22 000 Menschen im Jahr 1922) 
				erklären, weswegen trotz der Auswanderung von je 5000 Menschen 
				nach Sowjetarmenien 1935 und 1946, sowie von weiteren 
				5000 Menschen in die USA 1965-1968, reihte 
				sich die armenische ethnische Gruppe im Jahre 1992 mit ihren 
				0,16% oder 13 677 Menschen auf den vierten Platz 
				unter den ethnischen Gemeinschaften Bulgariens ein. 
				Gewiß mußte sie 2001 diese Stelle zugunsten der russischen 
				Volksgruppe abtreten, doch mit ihrer 10832 Angehörige (0,14%) 
				steht sie nach wie vor zahlenmäßig vor vielen traditionellen 
				Minderheiten im Lande, wie die der Wallachen, der Griechen, der 
				Rumänen, der Juden usw. 
				Das Reduzieren des Prozentanteils der türkischen 
				Bevölkerung im Lande, unabhängig von ihrem relativ höheren 
				natürlichen Zuwachs, erfolgt auch im Laufe der ständigen 
				Auswanderungen, wobei bis zu Beginn der 80er Jahre
				des 20. Jhs.
				in 
				verschiedenen Zeiten über 700 000 Menschen in die 
				Türkei emigrierten. Zu denen schlossen sich 1989 neue 214
				902 Menschen, sowie weitere 140 000 Türken, die 
				Bulgarien am Anfang der Transformationsperiode bis zum Jahr 1993 
				verließen. 
				
				Die Integration – 
				manchmal als ein natürlicher Prozeß, der auch von der 
				Minoritäten selbst unterstützt, viel öfter aber unter dem Druck 
				der Umständen und dem Einfluß der Staatspolitik realisiert wird 
				– führte 
				auch zur Erhöhung der Gesamtanzahl der Bulgaren in den 
				offiziellen Statistiken. Eine große Rolle
				dabei 
				spielten 
				im ersten Falle 
				die gemischten Ehen: etwa 80-90% der bulgarischen Juden nach dem 
				Jahr 1949 z. B. heirateten eine(n) nicht jüdische(n) Partner(in) 
				oder stammten von solchen Mischehen. Damit erklärt sich auch die 
				Tatsache, daß unabhängig von der geringen Anzahl der sich 1992
				(und 2001)
				als Juden 
				angegebenen 3461 
				(1363) 
				Menschen, heute etwa 
				10 000 bulgarische Bürger das Recht besitzen, eine 
				israelische Staatsangehörigkeit zu beantragen. Ähnlich ist die 
				Lage auch bei der Romabevölkerung, wovon annähernd 1/6 die 
				Merkmale einer bulgarischen Selbstidentifizierung aufweist. Sich 
				auf die vermutliche Gesamtanzahl der Zigeuner im Lande bezogen, 
				könnte dies zu Spekulationen führen, daß vielleicht über 130
				000 Bulgaren (annähernd 2% der Titularnation) im Jahr 1992 
				eine „zigeunerische 
				Herkunft“ 
				haben sollten. 
				
				Beim ethnischen 
				Determinieren der Vorstellungen 
				von der Nation 
				scheint es ganz
				verständling 
				das Bestreben der Balkaneliten, manipulativ auf das Entstehen 
				eines ihnen recht erscheinenden ethnischen [Selbst]Bewußtseins 
				unter den nach irgendeiner Merkmal verwandten minderheitlichen 
				Gemeinschaften in den benachbarten Ländern, bzw. unter den sich 
				konfessionell 
				und/oder 
				ethnisch unterscheidenden Bevölkerungsgruppen im eigenen Lande, 
				einzuwirken. Dies stellt die einzelnen Balkannationalismen 
				gegeneinander auf und verursacht eine Reaktion 
				zur 
				Bewahrung der „nationalen Interessen“. Vielleicht sollten wir 
				darin die Vorursache für 
				die 
				Bedrückung der 
				Minderheitenrechte in 
				dem 
				Nationalstaat des 20. 
				Jahrhunderts, 
				sowie die zwangsweise erfolgte „Integration“ erkennen, die 
				schließlich auf die „Auflösung“ der Minderheit in der 
				Staatsnation gerichtet wird, besonders falls sich die Mehrheit 
				aus 
				irgendeinem Grund 
				davon bedroht fühlt. Als die Wallachen im Bulgarien z. B. nach 
				dem Jahr 1910 unter dem Einfluß der rumänischen Politik 
				offiziell als „Rumänen“ erkannt wurden, haben die bulgarischen 
				Behörden entsprechende Maßnahmen getroffen, wobei in der 
				Zwischenkriegszeit den Druck gegenüber dieser Bevölkerung 
				verstärkt wurde. 
				Sie 
				äußerten 
				sich in dem 
				Verbot, die Muttersprache öffentlich zu benutzen, die 
				traditionelle wallachische Tracht zu tragen, volkstümliche 
				Bräuche einzuhalten, sowie in Einschränkungen 
				des Gottesdienstes auf Rumänisch, in der Aufstellung von 
				Hindernisse vor der Verbreitung rumänischer Literatur und 
				überhaupt vor den Privatkontakten mit Rumänien, in dem 
				Aufzwingen der Wallachen, ihren Familiennamen zu bulgarisieren 
				und den Kindern bulgarische Namen zu geben, in dem 
				obligatorischen Besuch von Kursen für das Erlernen des 
				Bulgarischen und in anderen Maßnahmen, die nicht selten von
				solchen 
				Repressalien, wie 
				Mißhandlung, Verhaftung und Aussiedlung, begleitet wurden. Einen 
				halben Jahrhundert später wurde dasselbe System in bezug auf die 
				bulgarischen Türken im Laufe des sogenannten 
				“Prozesses 
				der Wiedergeburt” 
				verwendet.  
				
				Nach dem Jahr 1940 
				wurden auch die 
				Roma 
				einem starken Druck unterzogen. Außer daß 
				es 
				ihnen verboten wurde, 
				die Zentralgebiete der Hauptstadt und der größeren Städte 
				Bulgariens zu besuchen, sowie den öffentlichen
				Stadtverkehr zu 
				benutzen, wurde 1942 ein Teil 
				der Zigeuner 
				gewaltsam 
				evangelisiert, 
				wobei ihre 
				muslimische 
				Namen in Sofia und in anderen 
				großen 
				Ortschaften mit 
				christlichen Namen ersetzt wurden. Dies fiel zeitlich mit den
				sogenannten
				„Maßnahmen der 
				Wiedergeburt“ gegenüber den muslimischen Bulgaren zusammen (also 
				mit der laufenden Namensänderung, mit der Einführung 
				des islamischen 
				Gottesdienstes auf 
				Bulgarisch, mit
				Abschaffen von 
				Elementen der traditionellen Bekleidung usw.), was ein 
				merkliches 
				Zeugnis für das 
				gezielte Bestreben der Staatsorgane, einige Probleme der 
				Minderheitenfrage mit Hilfe der forcierten Integration zu lösen, 
				darstellt. 
				
				Die Versuche, 
				andersstämmige und andersgläubige Gemeinschaften teilweise zu 
				assimilieren, teilweise zu unterdrücken, oder aber 
				sie 
				zur Auswanderung zu 
				veranlassen, schreiben sich in 
				dem 
				gewöhnlichen Streben nach dem Aufbau 
				“mononationaler 
				Staaten” 
				ein. Diese 
				Prozesse verliefen 
				allerdings 
				auch in den übrigen Ländern Südosteuropas 
				(und sogar weit hinaus). 
				Die ethnisch bedingte Vorstellung von der Nation, die ihre 
				Vitalität bis in die Gegenwart aufbewahrt, stimuliert die 
				weiteren Versuche, neue Identitäten im Namen der einen oder
				der 
				anderen „nationalen 
				Interesse“ zu konstruieren. Darin müssen wir z. B. die Ursachen 
				für die künstliche Erschaffung 
				in Griechenland einer 
				„pomakischen Nation“, sowie für die 
				in Serbien 
				unterstützten 
				Idee von dem Vorhandensein einer Nation 
				von 
				Schopi 
				suchen, die
				sich auf das
				1919 
				an Serbien 
				abgetretenen 
				westlichen 
				bulgarischen 
				Randgebieten und 
				östlich bis in die 
				Umgebungen 
				von Sofia hin erstreckt. 
				In beiden Fällen 
				handelt es sich allerdings um bulgarische ethnographische 
				Gruppen, Teile wovon auf den eigenen Siedlungsgebieten doch 
				schon längst außerhalb der bulgarischen Staatsgrenzen leben. 
				
				Solche Einstellungen 
				zum Wesen der Nation und zur Lösung der 
				Probleme mit einer 
				oder mit anderer Minderheit 
				erscheinen heute als
				einen 
				Anachronismus, 
				besonders wenn 
				sie im Kontext des globalen Integrationsprozesses 
				gestellt und 
				betrachtet 
				werden. 
				Vielleicht sollte aber die Menschheit auch die Last der 
				ethnonationalen Konflikte ertragen, um neue Formen der 
				friedlichen Koexistenz zu entdecken. Seinen „Beitrag“ zu dieser 
				schmerzhaften Erfahrung leistete auch das moderne Bulgarien.
				 
				
				Als der Staat im 
				Laufbahn der Sowjetunion gestoßen wurde, mußte er sich an der 
				ideologischen Doktrin 
				der 
				UdSSR anpassen. 
				So wurde die 
				Einstellung zu den Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg
				wieder mal der 
				Laune der „großen Politik“ unterstellt, dessen 
				Faden nun zu Moskau führte. Dies erklärt die 
				anfänglige 
				Verbesserung der Minderheitenrechte am Ausgang der 40er 
				und in der ersten Hälfte der 50er Jahre, als die 
				muslimischen Namen der Pomaken zurückgegeben wurden, die 
				Emigration von Juden und Armenier erlaubt wurde, aber auch die 
				„Makedonisierung“ 
				der bulgarischen Bevölkerung im Gebiet von Pirin auf Anordnung 
				der Staatsgewalt erfolgte. In dieser Zeit bemühte man sich, das 
				Leben und die Qualifikation der Roma zu verbessern, es wurde 
				auch das Kultur- und Bildungswesen der bulgarischen Türken 
				gefördert, doch begleitet von der Auswanderung 1950-1951 von 
				über 154 000 Menschen in die Republik Türkei. Die 
				allmähliche Sowjetisierung der Gesellschaft mit der Abschaffung 
				des Privateigentums, einer Verstaatlichung der Industrie- und 
				Landwirtschaft, einer Ideologisierung der Politik, 
				einschließlich mit verstärktem 
				antireligiösen Druck, war keine gegen die Minderheiten 
				gerichtete Diskrimination, weil die Maßnahmen 
				in 
				gleicher 
				Masse die
				ganze 
				bulgarische 
				Nation betrafen. 
				Es sollen auch die Beschlüsse, womit in den 50er 
				Jahre die Landstreicherei und Bettelei unter den 
				Zigeunern 
				verboten wurden, nicht als diskriminierend beurteilen. Gewiß 
				haben sie die Lebensweise und Lebensunterhalt eines Teils der
				Roma 
				stark betroffen, doch 
				wurde mit der Regelung der Niederlassung, Ausbildung und der 
				Beschäftigung der bulgarischen Roma auch Mittel für das Aufbau 
				neuer Häuser und Schulen zur Verfügung gestellt, sowie 
				Arbeitsplätze für Zigeuner geschaffen, was zur Reduzierung ihrer 
				Arbeitslosigkeit und zur allgemeinen Verbesserung ihrer 
				Lebensbedingungen führte.  
				
				Im Laufe der neuen 
				Einstellung zur Minderheitenfrage wurden nach den 
				Jahren 
				1956-1958 
				die Zigeuner 
				unter dem
				Druck gestellt, 
				bulgarisches 
				ethnisches 
				Selbstbewußtsein zu entwickeln. Ähnlich wie die muslimischen 
				Bulgaren und später 
				wie 
				die Türken wurden
				die Roma 
				bei der Namenswahl 
				auf traditionelle bulgarische Namen eingeschränkt. 
				In 
				dieser Politik 
				einer sich 
				ausbreitenden 
				Assimilierung, 
				trotz ihrer 
				rein 
				bulgarischen Nuancen (da
				Elemente davon
				schon 
				in der 
				vorkommunistischen Zeit zurückzuverfolgen 
				sind) 
				findet man 
				Motive, die mit den eingebrachten sowjetischen Ideologemen,
				z. B. 
				von der „einheitlichen sozialistischen Nation“ oder von der 
				Abschaffung der
				nationalen 
				Unterschiede bei 
				dem „Übergang 
				zum Kommunismus“, verbunden sind. 
				
				Das, was in der 
				Öffentlichkeit als einen „Prozeß der Wiedergeburt“ bezeichnet 
				wurde, stellte eigentlich die letzte Phase einer Jahrzehnte lang 
				durchgeführte Politik zur Bildung einer ethnisch homogenen 
				bulgarischen Nation dar. 
				Dabei wurde natürlich 
				die größte „Aufmerksamkeit“ der 
				muslimischen Gemeinschaft gewidmet, 
				da 
				sie ethnokonfessionell 
				mit der Bevölkerung der Republik Türkei, mit dem Hauptgegner 
				Bulgariens im Rahmen der „bipolaren Welt“, verbunden war, und 
				außerdem das 
				am schwierigsten integrierbare und sich von 
				dem Titularvolk 
				am zahlreichsten abweichende 
				Teil 
				der „bulgarischen sozialistischen Nation“ bildete. Die übrigen,
				meist 
				„städtischen“, 
				Minderheiten, wie etwa 
				die Juden,
				die 
				Armenier und 
				die 
				Griechen, waren 
				entweder schon seit langem im gesellschaftlichen und politischen 
				Leben des 
				Landes gut 
				integriert, oder stellten wegen ihrer belanglosen Anzahl keine 
				Gefahr für die „nationale Sicherheit“ dar. 
				
				  
				
				2. Einiges über die 
				muslimischen Minderheiten  
				
				  
				
				Am Ende des 
				20. 
				Jahrhunderts konnten 
				die bulgarischen 
				Muslime 
				schwerlich als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden. Die 
				Ergebnisse der Volkszählung 
				vom 
				Dezember 1992 zeigten, daß 
				sich 
				13,05% der 
				Staatsbürger zum Islam bekennten. 
				Der überwiegende Teil davon 
				waren 
				orthodoxe Sunniten aus der hanefitischen Richtung (12,05% 
				der ganzen Bevölkerung, oder 92,56% der 
				Muslime 
				im Lande). Sie 
				waren Träger 
				des traditionellen türkischen Islams, der im Osmanischen Reich 
				gepflegt und weiterentwickelt wurde. Eine sehr kleine Anzahl von 
				Gläubigen waren
				Schiiten 
				(0,98% der ganzen Bevölkerung, oder 7,44% aller 
				Muslime). 
				Das sind die sogenannten 
				Kızılbaši 
				oder Aleviten,
				Aliane – Anhänger Ali’s, der Schwager Mohammeds, der von 
				seinen Verehrern für Nachfolger des Propheten gehalten wird. Die 
				Schiiten in Bulgarien könnte man als 
				ein 
				Produkt der Tätigkeit 
				nicht orthodoxer islamischen Sekten 
				unter den 
				Einheimischen 
				oder als Ergebnis von Umsiedlungen der Bevölkerungsgruppen,
				so etwa 
				aus 
				dem 
				kurdischen Anatolien 
				und aus 
				anderen Gebieten des 
				Reiches, besonders im Zusammenhang mit den osmanisch-iranischen 
				Kriegen, betrachtet werden. Sie führen ein relativ geschlossenes 
				Religionsleben und grenzen sich durch einige Einzelheiten in 
				ihrer rituellen Praxis und Tradition von der übrigen 
				muslimischen Bevölkerung ab. In Bulgarien wurden bisher keine 
				Anhänger der Haridschiten registriert, also derjenigen
				“Puritaner” 
				und Fundamentalisten, die für die arabische Welt 
				charakteristisch sind, welche zur Einhaltung der strengen 
				sittlichen Normen und zur Rückkehr zu den Wurzeln 
				eines 
				„reinen“ Islams auffordern. 
				Doch mit der Öffnung 
				des Landes sowohl nach Westen als auch nach Osten (was die 
				muslimischen Mitbürger anbetrifft) könnte man auch mit 
				Einflüssen des wahhabitischen Islams rechnen. 
				 
				
				Nicht nur im 
				konfessionellen Bereich sondern auch nach ihrer ethnischen 
				Herkunft unterscheiden sich die bulgarischen 
				Muslime. 
				Wie man erwartet kann, ist die zahlreichste Gruppe darunter die 
				der türkischen Bevölkerung. Deshalb wird auch die Frage nach der 
				Lage der muslimischen Minderheit im Lande vor allem in 
				Verbindung mit den Rechten und Freiheiten der bulgarischen 
				Türken gestellt. Nach 
				dem Zensus vom Jahr 
				1992 war ihre 
				Anzahl etwa 800 Tausend Menschen – 800052 (9,42% der 
				Gesamtbevölkerung) nach der ethnischen Zugehörigkeit, oder 
				813539 (9,58%) nach ihrer Muttersprache 
				(für das Jahr 2001 sanken die entsprechenden Daten ein wenig: 
				746664 oder 9,42% Türken nach ethnischer Zugehörigkeit und 
				762516 oder 9,62% Türken nach ihrer Muttersprache). 
				Manche Autoren in 
				Bulgarien bestritten die Gültigkeit dieser Angaben. Sie behaupteten, 
				daß die „eigentlichen“ Türken im Jahr 1992 kaum die Grenze von 
				etwa 500 bis 600 Tausend Menschen überschritten, und der Rest 
				bis 800
				Tausend 
				von den sich als „Türken“ angegebenen Roma und Pomaken „ausgefüllt“ 
				wurde.  
				
				Sehr nah an die Türken 
				stehen in ethnolinguistischer Hinsicht die bulgarischen 
				Tataren. Noch im 13.-14. Jh. wurden 
				die 
				ersten 
				tatarischen 
				Niederlassungen in Bulgarien vermerkt, 
				u. zw. von 
				Militäreinheiten, die im Dienst der bulgarischen Zaren 
				wechselten. In osmanischer Zeit wurden bereits günstigere 
				Verhältnisse für ständige Ansiedlung von Tatarengruppen in der 
				Dobrudscha geschaffen, die 
				deshalb 
				die Bezeichnung „KleinTatarien“ in Analogie zur byzantinischen 
				„Klein Skythien“ 
				(Skythia Minoris)
				erhielt. 
				Besonders bedeutend 
				waren 
				die tatarischen Übersiedlungen nach der Eroberung des 
				Krim-Chanates durch Rußland (1783) und um den 
				osmanisch-rußischen Krimkrieg (1853-1856), als etwa 60 000 
				Krimtataren in der Dobrudscha, im Donauflachland und im Gebiet 
				von Vidin angesiedelt wurden. Ihre Nachkommen, 
				die 
				die eigene Identität 
				aufbewahrten, bildeten nun die gegenwärtige 
				Tatarengruppe 
				in Bulgarien, 
				zu der sich auch die sog. 
				Tatar Šengene 
				(tatarische 
				Zigeuner) im Gebiet von Russe 
				anschließt. Die 
				politische Turzisierung der Tataren 
				begann am 
				Ende der 20er 
				Jahre unter der Einwirkung der Ankaras Propaganda, so daß man im 
				Laufe der Zeit die Tataren inoffiziell als einen Teil der 
				türkischen Minderheit zu betrachten begann. Als „Türken“ 
				emigrierten viele davon auch im Jahr 1989. Dies führte zu einer 
				beträchtlichen 
				Reduzierung ihrer Anzahl, so daß 1992 
				lediglich 
				4515 Tataren (0,05% der Gesamtbevölkerung) registriert wurden, 
				obwohl sie nach 
				der 
				eigenen Angaben auf etwa 20000 Menschen belaufen. 
				Die 
				Tataren sind 
				Muslime 
				sunnitischer Prägung; sie selbst empfinden sich aber in 
				religiöser Hinsicht als viel mäßiger als die Türken. Bei ihnen 
				fehlt es an 
				einer 
				Geschlechtsegregation – die tatarischen Frauen verschleierten 
				noch früher ihren Gesichter nicht und außerdem zeigen die 
				Tataren eine weit tolerante Einstellung gegenüber den Aleviten (Schiiten). 
				Sie unterscheiden sich auch durch andere Merkmale 
				von den Türken 
				darunter durch
				manche 
				Kalenderfeste einschließlich der Newrūz (der
				erste Frühling), 
				der mit dem persischen 
				(und auch kurdischen!)
				Neujahr 
				zusammenfällt. Ihre Sprache trat jedoch zum Gunsten des 
				Türkischen zurück, 
				was viele 
				Probleme vor der Wiedergeburt der tatarischen Identität 
				bereitet. 
				
				Zahlreicher 
				als die Tataren sind die muslimischen Zigeuner. Einiger 
				türkischen Einschätzungen zufolge bilden sie fast 75% der 
				Romabevölkerung in Bulgarien, nach anderer Angaben sind sie nur 
				etwa 40% aller Roma. Beim 
				Zensus 1992 
				wurden als Zigeuner 313396 Menschen (3,69%) eingetragen, wovon 
				310425 Leute
				(3,65%) das 
				Romani als 
				eigene 
				Muttersprache eingaben. 
				Etwa zehn Jahre später gab es 370908 Roma (4,68%) nach 
				ethnischer Zugehörigkeit und 327882 Roma (4,13%) nach ihrer 
				Muttersprache. Nach 
				inoffiziellen Einschätzungen schwankt 
				aber 
				die Anzahl der 
				Roma 
				zwischen 500 bis 800 
				Tausend 
				Menschen (vielleicht wurden darin die 
				bereits 
				bulgarisierten und turzisierten Vertreter dieser Gemeinschaft 
				mitgezählt). Heute sind die meisten davon Christen und dies 
				entspricht den Beobachtungen vieler Forscher, daß die Roma 
				gewöhnlich die Religion des Landes, in dem sie leben, als ihre 
				eigene “Glaube” 
				betrachten, und beim Wechsel der Heimat auch ihre Religion 
				wechseln. Diese ihre Spezifika zusammen mit der Politik des 
				bulgarischen Nationalstaates erklären das Sinken der Anzahl von
				Muslime 
				unter der Roma-Bevölkerung. 
				Man nimmt an, daß 
				die 
				Zigeuner noch im 
				13.-14. Jh. auf dem Balkan 
				eindrangen. 
				Die überwiegende Anzahl von 
				Zigeuner, 
				die in den frühen osmanischen 
				Steuerbüchern 
				eingetragen wurden, 
				waren Christen mit slawischen Namen, was 
				darauf 
				andeutet, daß sie
				bereits 
				im Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung standen, 
				deren 
				Namenssystem 
				und Glauben 
				übernahmen. Zusammen mit den osmanischen Türken kamen aber auch 
				Zigeuner, die noch vor ihrem Erscheinen in Europa 
				zum 
				Islam konvertiert wurden. Im Laufe der Zeit trat der größte Teil 
				der Romabevölkerung zur herrschenden Religion über und ab 
				dem 
				18. Jh. waren die
				Muslime 
				schon eine Mehrheit. Im Osmanischen Reich fanden die 
				Zigeuner 
				viel günstigere Lebensverhältnisse im Vergleich zu Mittel- und 
				Westeuropa, wo sie einen starken Assimilationsdruck und 
				Verfolgungen ausgesetzt wurden. Dies stimulierte den Anwachs 
				ihrer Anzahl einschließlich durch Einwanderungen in die 
				Balkanländer. Dort pflegten 
				die Roma 
				diejenigen spezifischen Tätigkeiten und Berufe zu praktizieren, 
				die für die vorindustrielle Gesellschaft 
				typisch 
				waren, heute aber nicht mehr gefragt sind, was vielleicht ein 
				zusätzlicher Faktor für 
				ihre 
				sozial-ökonomische Marginalisierung in der Gegenwart darstellt.
				 
				
				Die Romagemeinschaft 
				ist zu 
				heterogen. In Bulgarien bilden 
				die Zigeuner 
				zwei unterschiedliche konfessionelle Gruppen, nämlich 1)
				muslimische 
				türkisch- oder tatarischsprechende
				„türkische 
				Zigeuner“, die 
				sog. Horohane Roma 
				und 2) 
				christliche vorwiegend slawophone Zigeuner, die sog. Dasikane 
				Roma. Die 
				ostorthodoxe Roma, die 
				der Sprache nach 
				in bulgarischen,
				in 
				rumänischen 
				oder wallachischen (z. B. kopanari u. a.) 
				und in einer kleinen 
				Anzahl von
				serbischen 
				Zigeuner (die sog.
				drastare 
				oder lovari) 
				eingeteilt werden, 
				unterscheiden sich nach professionellen Merkmalen in zusätzliche 
				Untergruppen 
				weiter. Aber auch die Gruppe der „türkischen“ Zigeuner ist sehr 
				heterogen. Darunter befinden sich: 1. Nachkommen von 
				Migranten aus muslimischen Staaten; 
				2. 
				Zigeuner, die auf bulgarischem Gebiet zum Islam konvertiert 
				wurden (etwa die sog. Ägypten – die älteste urkundlich 
				bewiesene Romabevölkerung im Lande); 3. Zigeuner, die den 
				Islam im Osmanischen Reich übernahmen und später nach Bulgarien 
				aus benachbarten christlichen Staaten übersiedelten (z. B. die 
				sog. Balamo horohane Roma ‘griechische türkische 
				Zigeuner’) und 4. die sog Mezhari (aus bulg. 
				meždu ‘zwischen’), die sich infolge der gemischten Ehen 
				zwischen horohane und dasikane Roma als eine 
				separate Gemeinschaft herausbildeten. Es gibt ferner Gruppen, 
				formiert (a) nach ihrer Lebensart (z. B. die 
				Kardaraschi im Sinne von ‘Nomaden’, die einen Teil der Ende 
				des 19. Jahrhunderts aus dem heutigen Rumänien nach Europa 
				ausgewanderten Zigeuner darstellen), oder (b) nach der 
				ethnischen Entfernung von der Hauptmasse (so die Gadzhikane 
				Roma, aus dem Wort gadzho - eine Bezeichnung für alle 
				Nicht-Roma, sowie die sog. Dzhorevci in Sofia, die 
				Nachkommen der gemischten Ehen von Bulgaren und Roma sind). Sie 
				alle, wie die längst ansässigen und vorwiegend (doch nicht 
				ausschließlich) muslimischen erlii (aus dem türk. yer 
				‘Ort’ > yerli ‘örtlich, hiesig’) gliedern sich nach dem 
				traditionllen Lebensunterhalt oder Gewerbe in weiteren 
				Untergruppen, so etwa in: kalajdžii ‘Kesselflicker’ < 
				kalaj ‘Zinn’ (die zu kardaraschi gehören, zwei 
				Unterteilungen der „ungarischen“ und „bulgarischen“ Roma bilden 
				und zur Gruppe der kalajdžii erlii antagonistisch 
				gestellt sind); mečkari oder ursari ‘Bärenführer’ 
				< mečka, rum. urs ‘Bär’; majmundžii 
				‘Afenführer’ < majmuna ‘Affe’ u. a. (die zu gadzhikane 
				Roma zu ordnen sind); košničari ‘Korbmacher’ < 
				košnica ‘Korb’; nožari ‘Messerhersteller’ < nož
				‘Messer’; čalgadžii ‘Musiker’ < türk. çalga 
				‘[orientalisch klingende] Musik’ usw. 
				
				Mit 
				Ausnahme der türkisch- und rumänischsprachigen 
				Zigeuner benutzen alle 
				andere Roma 
				verschiedene Dialekte der neuindischen Zigeunersprache (Romani 
				čub) oder eine Mischung 
				davon 
				mit bulgarischen, türkischen und rumänischen Wörtern. 
				Das ist der Grund warum 
				manche 
				Forscher die Zigeuner nicht als ein Volk betrachten, sondern für 
				sie den Begriff „ethnische Zwischengruppe“ verwenden. Laut einer 
				soziologischen Untersuchung, die 
				im Jahr 
				1994 unter den 
				Zigeuner durchgeführt wurde, erklärten nur zwei Drittel der 
				Respondenten ihre Zugehörigkeit zur Roma-Gemeinschaft. Davon 
				definierten sich selbst 47% als „bulgarische Zigeuner“, 46% als 
				„türkische Zigeuner“, 5% als „wallachische Zigeuner“ und 
				lediglich 
				1,6% als „Kardarasche“. Doch das Romani 
				war eine 
				Muttersprache für 85% der „Kardarasche“, 75% der „bulgarischen 
				Zigeuner“, 34% der „türkischen Zigeuner“ und 14% der „wallachischen 
				(oder rumänischen) Zigeuner“, wobei 61% aller „türkischen 
				Zigeuner“ sich untereinander nur auf Türkisch unterhielten. Das 
				ist ein Zeugnis 
				dafür, 
				wie groß den
				Assimilationsgrad 
				eines großen 
				Teils der 
				Zigeuner mit 
				den Türken ist, 
				welche Beobachtung auch durch die Tatsache verstärkt wird, daß 
				sich unter den 310 Tausend Menschen, die 1992 das Romani als 
				ihre Muttersprache eingaben, 39,7% (d.h. mehr als die 
				eigentlichen horohane Roma) zum Islam bekannten. 
				 
				
				Eine 
				Sondergruppe 
				der muslimischen Gemeinschaft sind die Bulgarenmoslems, 
				auch unter den Bezeichnungen Pomaken, Achrjane, 
				Torbesche usw. bekannt. Sie sind eine Gebiergsbevölkerung, 
				die nun 
				in fünf Balkanstaaten 
				(in Bulgarien, Griechenland, Makedonien, 
				Albanien und in der Türkei) lebt. 
				Im Unterschied 
				zu den 
				bosnischen Muslimen, 
				die eine serbischähnliche Sprache besitzen, ist die pomakische 
				Sprache eine bulgarische Mundart, die in sich zahlreiche 
				archaische 
				Sprachformen 
				bewahrt, welche mit denen, die aus den schriftlichen Denkmälern 
				der mittelalterlichen bulgarischen Literatur bekannt sind, 
				verglichen werden können. Es besteht darin eine spätere Schicht 
				von Turzismen (einschließlich Zahlwörter und 
				Verwandtschaftsnamen), Arabismen (religiöse Terminologie) und 
				Gräzismen, die aber auch für andere bulgarische Dialekte 
				typisch 
				sind also alte griechische Lehnwörter im Bulgarischen 
				darstellen oder
				aber 
				als ein Produkt der 
				Kontakte mit der griechischsprachigen Umgebung zu betrachten 
				sind. Nach inoffiziellen Angaben ist die Anzahl der Pomaken 500 
				000 Menschen, wovon zwischen 80-120 Tausend in Albanien, fast 40 
				Tausend in Griechenland und Makedonien 
				und etwa 150-200 Tausend in Bulgarien leben. In der Türkei 
				selbst wurden 1965 
				etwa 
				20 000 
				Menschen mit einer pomakischen 
				Sprache 
				(Pomakça) registriert, die hauptsächlich Auswanderer aus 
				Bulgarien 
				darstellten, 
				wovon die Hälfte das Gebiet von Edirne bewohnten. 
				 
				
				Die Verteilung dieser 
				Bevölkerung rief unterschiedliche Erklärungen über ihre 
				ethnische Herkunft in der Geschichtsschreibung der Balkannationen 
				hervor. In Bulgarien 
				sind die 
				Pomaken als 
				Bulgaren (Bulgarmohammedaner) 
				betrachtet, die den Islam während der 
				Osmanenzeit 
				übernahmen, 
				wofür die
				Gemeinschaft
				von 
				Sprache und traditioneller 
				Volkskultur, sowie die aus osmanischen Quellen gewonnenen 
				Informationen,
				spricht. 
				In der türkischen Literatur werden 
				sie 
				als autochthone Rhodopen- oder Gebirgstürken 
				qualifiziert, 
				welche 
				Nachfolger der Kumanen oder Nachfahren anderer Türkstämme waren,
				die 
				die Rhodopen-Gebierge
				noch vor dem 
				Erscheinen der Osmanen besiedelten, wo sie bulgarisiert wurden 
				und ihre Muttersprache vergaßen. 
				Manchen Schriften 
				zufolge wird 
				ihre Gesamtanzahl auf 6 Millionen 
				„Rhodopentürken“ 
				bestimmt, was 
				den höchsten 
				Vermutungen der 
				zahlenmäßigen 
				Stärke der 
				Muslime in 
				Bulgarien 
				übersteigt. In 
				Griechenland 
				dagegen sind 
				die Pomaken als slawophone islamisierte Hellenen 
				oder als Nachfahren der alten Thrazier und damit als griechische 
				Verwandten gehalten 
				worden, 
				welche 
				von der “bulgarischen 
				Invasion” 
				im 7.-12. Jh. in die Rhodopen hinausgestossen wurden und in der 
				Folgezeit slawisiert, mit dem Kommen der Osmanen auch 
				islamisiert, wurden. Dort 
				wurden 
				hämatologische 
				Untersuchungen durchgeführt, um zu „beweisen“, daß in 
				rassischer 
				Hinsicht die Pomaken eine besondere Volksgruppe von 
				Thrazier Achrjane 
				darstellen, also von uralten Bewohnern des breiten 
				hellenistischen Raums, die mit den übrigen Balkanvölkern, 
				außerhalb mit
				den 
				Griechen, nichts gemeinsames haben. Und wenn 
				man 
				die Pomaken 
				früher 
				als einen Teil der muslimischen Bevölkerung zusammen mit den 
				Türken in Ost-Thrazien behandelte, 
				erkennt man nun 
				eine neue
				Tendenz, sie 
				als ein separates Volk abzusondern. Mitte der 90-er Jahre 
				erschienen 
				eine pomakische Grammatik 
				mit 
				zwei Wörterbüchern 
				(Pomakisch-Griechisches und Griechisch-Pomakisches), 
				was 
				von der Öffentlichkeit als ein patriotisches Werk zur 
				Verteidigung der nationalen Interessen begrüßt wurde. In 
				Albanien zählt man die Pomaken zur makedonischen 
				Minderheit; in 
				der Makedonien 
				selbst werden sie als Teil der 
				slawophonen 
				Mehrheit akzeptiert, 
				obwohl sie sich an die muslimische Minderheit 
				nebst 
				den Albanern anschließen. Es gibt keine Indizien 
				auf irgendwelche
				besondere makedonische 
				Theorien über die Herkunft dieser Bevölkerung außerhalb der 
				allgemeinen Vorstellungen von der Genesis des makedonischen 
				Volkes. Doch eben die scharfe Konfrontation darüber zwang 
				vielleicht manche Osteuropaforscher, die traditionell gewordene 
				Definition der Pomaken als „Muslime bulgarischer Zunge“ durch 
				eine mildere „Muslime südostslawischer Zunge“ zu ersetzen.
				 
				
				Auf diese Weise 
				versucht jedes Staatsvolk auf dem Balkan die Pomaken an sich zu 
				ziehen, woraus sich ein großes Streitproblem entwickeln könnte. 
				Deswegen fühlen sich die Bulgarenmoslems selbst unsicher und 
				sind bei der Suche nach ihrer Identität fremden Einflüssen 
				zugänglich. In den letzten Jahren erschien z. B. unter 
				arabischer Suggestion eine neue These, die alle bisherige 
				Erklärungen über die Herkunft dieser Bevölkerung verwarf. Danach
				seien die 
				Pomaken entweder Nachfahren mittelalterlichen arabischen 
				Kriegsgefangenen, die zur byzantinischen Zeit angesiedelt 
				wurden, oder alte Einwanderer aus Pakistan, oder aber Nachkommen 
				von Gesandten (Peygambere)
				des Propheten 
				gewesen, die 
				nach seinem Befehle noch vor der Niederlassung 
				der 
				Slawen und Türken 
				kamen, um 
				auf dem Balkan die 
				Worte Allahs zu verbreiten. 
				Damit erscheint ein 
				neuer Spieler in dieser Region, der sich in der kontroversen 
				Herkunftsfrage einmischt und die Identitätsspaltung vorantreibt.
				Diese 
				Mythologeme 
				hält keine 
				wissenschaftliche Kritik stand. 
				Doch sie 
				verdient eine Aufmerksamkeit, weil sie die 
				Islamgrenzen 
				in Europa, 
				die 
				angeblich vom Propheten selbst vorausbestimmt wurden,
				‘zeichnet’. Und 
				im Kontext der Erwägungen 
				S. 
				Huntingtons 
				über die 
				Frontlinien des 
				sog. ‘Clash of Civilizations’, auf dem Hintergrund der auch 
				konfessionell determinierten Konflikte im früheren Jugoslawien, 
				im Kaukasus und in Mittelasien, sowie in Anbetracht der 
				anwachsenden Anzahl der sich auch in Bulgarien niederlassenen 
				Araber (1992 gab es hier noch 5438 davon, heute sind sie etwa 
				über 20000 Menschen), sollen solche Entwicklungen mit großer 
				Wachsamkeit nachverfolgt werden.  
				
				  
				
				3. Die Minderheiten 
				Bulgariens nach der Wende 
				
				  
				
				Wenn es etwas 
				nennenswertes bei den mühsamen Transformationsprozess in 
				Bulgarien gibt, so ist das auf dem Gebiet der Minderheitenrechte 
				und -freiheiten zu suchen. Diese Feststellung mag provokativ 
				sein und skeptisch in bezug auf die allgemeine Entwicklung 
				klingen. 
				Doch weder die 
				wirtschaftliche Lage, noch der miserablen Zustand in der 
				Wissenschaft und Bildung, in der Kultur und vor allem im 
				sozialen Bereich geben uns einen Grund zum Optimismus. Und wenn
				die 
				Experten darin einig 
				sind, daß Bulgarien 
				sogar 
				beim 
				ständigen Anstieg des Bruttosozialproduktes seinen Ausgangspunkt 
				vom Jahr 
				1989 nach Jahrzehnten wieder erreichen könnte, bedeutet dies, 
				die Art und Weise der Transformation auch als Genozid gegenüber 
				breiteren Schichten der Nation zu bezeichnen.  
				
				Einen Beweis dafür 
				sieht man in den stetigen negativen Bevölkerungszuwachs, in der 
				erhöhten Sterblichkeit, in 
				dem 
				verschlechterten Gesundheitswesen, in der wirtschaftlichen 
				Misere und 
				in den anwachsenden Auswanderungsdrang. 
				Etwa 
				eine Million Menschen verlor Bulgarien seit dem Ende der 80er 
				Jahre. Mit über 
				einer halben Million Bürger (mehr 
				als 6%) 
				reduzierte sich seine Bevölkerung zwischen den beiden letzten 
				Zensusjahren. Dabei ist die Anzahl der verlorenen ethnischen 
				Bulgaren und Christen weit höher (-2,1% bzw. -2,8%). Auch die 
				Türken verminderten sich, obwohl ihren Anteil an die 
				Gesamtbevölkerung mit +0,05% 
				(von 9,4% auf 9,45%) 
				leicht 
				angestieg. Bei 
				den Zigeunern ist dagegen einen Zuwachs zu vermerken, und zwar 
				von 3,7% im Jahr 1992 auf 4,67% 
				im Jahr 2001, d. h. ihren Anzahl ist mit +0,97% 
				angestiegen. Auch die anderen ethnischen Gruppen haben nun 
				höhere Werte: ihre 
				Stärke 
				ist 1,1% auf 1,97% 
				oder mit +0,87% 
				angestiegen. Das bedeutet, daß die ethnischen Minderheiten im 
				Lande innerhalb eines Jahrzehnts an Anzahl ihrer Angehörigen im 
				Vergleich zum 
				Staatsvolk leicht zugenommen haben. Bildeten im Jahr 1992 die 
				Bulgaren 85,7% der Gesamtbevölkerung, sind sie nun auf 83,9% 
				reduziert worden. Waren die übrigen Ethnien mit 14,3% 
				zu summieren, erhöhte sich 2001 ihren Anteil auf 16,1% 
				der Gesamtbevölkerung. Wie immer diese Entwicklung zu 
				interpretieren sein mag, einst ist es schon klar, nämlich: (1) 
				daß die Bulgaren viel schwieriger die Lasten der Transformation 
				empfinden und (2) daß nun die ethnischen Minderheiten in 
				einer weit besseren Lage als zuvor gestellt worden sind. 
				
				Was hat sich 
				eigentlich 
				nach dem Umbruch 1989 geändert? (1) Die langjährigen 
				Bemühungen, eine ethnisch homogene bulgarische Einheitsnation zu 
				schaffen, wurden aufgegeben. (2) Es begann eine 
				unweigerliche Wiederherstellung der entzogenen oder 
				eingeschränkten minderheitlichen Rechte und 
				Freiheiten, 
				besonders in bezug auf die muslimische Bevölkerung. Somit 
				entspannte sich die Lage im ethnokulturellen Bereich, was zur 
				Aufbewahrung des Friedens führte. (3) Bulgarien hat sich 
				verpflichtet, die internationalen Vereinbarungen im Bereich der 
				Menschenrechte und des Minderheitenschutzes zu beachten. Dies 
				war nicht immer leicht und stoß auf heftigen Widerstand in 
				bestimmten gesellschaftlichen Kreisen.
				Doch die 
				verantwortlichen Instanzen fanden einen Ausweg, indem sie mit 
				formellen Begründungen die Streitfragen lösten. (4) Dies 
				alles begünstigte die Tätigkeit zahlreicher wiederhergestellten 
				oder nach dem Jahr 1990 entstandenen gesellschaftlichen und 
				kulturellen Minderheitenvereine, sowie die Arbeit 
				zahlreicher 
				NGO’s 
				und bulgarischen Filialen internationaler 
				Rechtsschutzorganisationen, die sich mit der Lage der 
				Minderheiten befaßten. 
				
				Auf diese Weise fand 
				in Bulgarien eine spürbare Renaissance der ethnischen und 
				konfessionellen Minderheiten statt, die sich nun gemäß der im 
				Rahmen der EU akzeptierten rechtlichen Grundlagen gestaltete. 
				Davon profitierten nicht nur einzelne Teilgruppen sondern die 
				ganze Nation, weil damit das Konfliktpotential der Minderheiten 
				als einen möglichen Störungsfaktor gemildert wurde. Sie alle 
				haben nun ihre eigene kulturelle Vereine, die zur Stärkung und 
				Entwicklung der ethnischen Identität beitragen, wobei die Türken 
				zum ersten Mal auch über eine stets im Parlament vertretenen 
				politischen Partei verfügen. Die Muttersprache wird in der 
				Schule wieder gelernt und bei der Ausübung der Religion gibt es 
				nun keine Einschränkungen. Das Miteinander 
				von 
				Muslimen und Christen in den gemischten Gebieten ist nicht 
				strapaziert, weil sich die schon bewahrte Form des 
				Zusammenlebens (das sog. Komschuluk ‘[gute] 
				Nachbarschaft’ 
				< türk. komşu ‘Nachbar’) 
				wieder belebte und sich beiden 
				Gruppen bei dem Überwinden der 
				Schwierigkeiten des 
				Alltages, sogar 
				beim 
				Bau von Moscheen und Kirchen gegenseitig helfen. In ihrer 
				Mehrheit tragen nun die beiden Volksgruppen auf eine ähnliche 
				Weise die Last des Überganges; beide sind gleichermaßen von der 
				wirtschaftlichen Misere getroffen, nur daß die Türken die 
				Präferenzen des sog. „Mutterlandes“ nutzen, um sich auf die 
				Oberfläche zu halten, wogegen für die Bulgaren keine solche 
				Möglichkeiten bestehen. Auch die Eliten beider Gruppen sind nach 
				Mentalität und Lebensweise nicht voneinander zu trennen, 
				weswegen es für die Türken keine Probleme gibt, bei der weiteren 
				Entwicklung des Landes mitzuwirken, ohne die eigene Identität 
				aufzugeben.  
				
				Mit der Rückkehr zur 
				Demokratie und der Öffnung Bulgariens entstanden neue 
				Möglichkeiten vor den Vertretern der Minderheiten. Nicht nur 
				Türken können jetzt unbehindert in die Türkei reisen und 
				nutzen 
				diese Angelegenheit, 
				um sich wirtschaftlich zu helfen. Auch die Juden stützen sich 
				auf den Beistand ihrer international verknüpften Gemeinschaften 
				oder machen von dem Recht auf eine israelische 
				Staatsbürgerschaft Gebrauch. Viele Rentner mit einer jüdischen 
				Herkunft weilen monatelang im „gelobten Land“, wo sie sich auf 
				eine bessere soziale und medizinische Versorgung erfreuen, und 
				kehren im Sommer nach Bulgarien zurück, um ihre Angehörige zu 
				treffen. Die Armenier nutzen die Kontakte mit ihrer Diaspora in 
				den Vereinigten Staaten und 
				in 
				Europa, um den 
				Schwierigkeiten des Überganges ein bißchen leichter zu begegnen. 
				Die Muslime zogen 
				ihrerseits 
				die Aufmerksamkeit der 
				islamischen Welt 
				und ihre materielle 
				Unterstützung 
				auf sich an und mit den Zigeunern beschäftigen sich zahlreiche 
				NGO, die sich mit Rat und Tat, in Zusammenarbeit mit staatlichen 
				Institutionen, durch verschiedene Projekte für Verbesserung der 
				Lage bemühen. So begann man 
				zu Beginn des neuen 
				Jahrtausends in 
				einigen Stadtvierteln von Sofia und 
				in 
				anderen Großstädten 
				für die 
				dortigen Roma 
				Mehrfamilienhäuser zu bauen – Projekte, 
				die 
				zum größten Teil mit Mitteln aus der EU finanziert wurden. 
				In solchen 
				Fällen wurden 
				dabei 
				Arbeitskräfte der Roma herangezogen, die vorher die notwendige 
				Qualifikation im Wohnungsbau erhielten, um sich damit später auf 
				dem Arbeitsmarkt bewerben zu können. Aber auch 
				eine der 
				Änderungen 
				des Bildungsgesetzes, wonach ab 2002 eine obligatorische 
				Vorschulvorbereitung eingeführt 
				wurde, 
				um man den Kindern das Lesen und Schreiben (bzw. das 
				Bulgarischsprechen) vor dem Beginn der ersten Klasse 
				beizubringen, kommt vor allem den türkischen und 
				den 
				Roma-Kindern zugute. 
				So können sie mit einem 
				viel 
				besseren Start in der 
				Schule rechnen sowie 
				weit 
				größere Integrations- und Bildungschancen bekommen. In einem 
				Experiment unter muslimischen 
				Roma von zwei Stadtvierteln in Plovdiv wurden auf diese Weise 
				etwa 60% ihrer Kinder für die Schule vorbereitet. Die frei 
				verteilten Frühstücke, Bekleidung, Lehrmittel und andere Güter, 
				die kostenlose Teilnahme im Unterricht, das für die Roma-Kinder 
				speziell konzipierte Programm, nicht zuletzt aber auch das 
				Vorhandensein von 
				Lehrerinen 
				aus der Minderheit, zog die Aufmerksamkeit der sozial schwachen 
				und stets arbeitslosen Eltern, die darin eine Möglichkeit sahen, 
				ihre Kids von dem „Einfluß der Straße“ fernzuhalten. 
				 
				
				Gerade dieses Beispiel 
				zeigt deutlich, wo allerdings die meisten Schwierigkeiten und 
				Probleme im Bereich der Minderheiten liegen. Es sind nicht die 
				Türken und auch nicht die Muslime, die sich als ein Hemmnis für 
				die moderne Entwicklung erweisen. Gewiß könnten 
				sie 
				bei manchen 
				Konstellationen zu einem mächtigen Moderator der Zukunft 
				Bulgariens werden. Bislang sind 
				aber 
				keine ausgeprägte nationalistische oder islamistische Tendenzen 
				unter ihnen zu vermerken, die uns einen ernsthaften Grund zu 
				Sorge bereiten 
				können. Ob es 
				auch weiter so bleibt, hängt 
				gewiß 
				von der allgemeinen
				Regionalentwicklung 
				und der weltpolitischen Situation in den nächsten Jahrzehnten 
				ab.  
				
				Anders ist die Lage 
				mit der Romabevölkerung. Die Zigeuner haben sich in der Welt 
				zerstreut und 
				bildeten 
				verschiedene Gemeinden, die sich voneinander auch in bezug auf 
				den Glauben unterscheiden. Und obwohl sie sich an der Kultur und 
				Sprache des jeweiligen 
				„Gastlandes“ 
				anpaßten, blieben sie stets am Rande der Gesellschaft, als eine 
				exotische Gruppe, die überall und nicht nur in Bulgarien 
				„traditional-mobil“ blieb, ein äußerst niedriges Bildungsniveau 
				besaß und „fast ausschließlich in Arbeitsverhältnissen mit 
				extrem niedrigem Sozialprestige“ 
				(so St. Troebst)
				stand. So sind
				die Roma 
				weiterhin als die Parias der modernen Welt geblieben u. 
				zw. nicht zuletzt 
				auch 
				deshalb, weil man sich 
				um ihre Entwicklung wenig kümmerte. Das Versuch im 
				kommunistischen Bulgarien sie per Gesetz seßhaft zu machen wurde 
				in den 90er Jahren voreilig als 
				eine 
				Diskriminierung 
				kritisiert. 
				Doch mit 
				Regelung der Niederlassung, Ausbildung und Beschäftigung der 
				Zigeuner wurden auch Mittel für das Aufbau von Häusern und 
				Schulen, sowie für das Schaffen von Arbeitsplätze zur Verfügung 
				gestellt, was zu 
				einer 
				allgemeinen Verbesserung der sozialen Lage und des 
				Bildungsniveaus der Roma führte. Und obwohl Mitte der 60er
				Jahre nur etwa 40,5% davon als erwerbstätig gemeldet 
				wurden, 
				verdienten sie 
				viel leichter und auf eine ehrliche Weise ihren Lebensunterhalt. 
				Waren 1956 immer noch 55,9% der Roma Analphabeten, sank bis 1992 
				der Anteil derjenigen, die des Lesens und Schreibens unkundig 
				waren, auf 8,7%, während der überwiegenden Mehrheit von 82,9% 
				schon wenigstens eine Unterstufe- oder Grundschulbildung besaß.
				Nach 
				der Liberalisierung der ökonomischen Verhältnisse und mit dem 
				Übergang zu einer dezentralisierten Marktwirtschaft fanden sich
				aber 
				in dem Staat immer 
				weniger Mittel für gezielte Unterstützung der Romabevölkerung. 
				Das Schließen staatlicher 
				Betriebe und nicht rentabler 
				Produktionen, in denen 
				die 
				Zigeuner engagiert 
				wurden, sowie das Auflösen der LPG ließ Tausende Roma ohne feste 
				Beschäftigung, die dann auf die spärliche Sozialhilfe angewiesen 
				wurden. Und da sie für den Unterhalt der kinderreichen 
				Zigeunerfamilien nicht reichte, blieb den Roma 
				nur 
				den Ausweg, sich in der „grauen Wirtschaft“ einzureihen und
				sich 
				straffällig zu machen. 
				Die angestiegene Kriminalität unter ihnen ist daher nicht mit 
				irgendeiner speziell angeborenen Mißachtung des Gesetzes zu 
				erklären. Sie ist schließlich in der zu lange andauernden 
				„Umwandlung“ zu suchen, in der sich für die Zigeuner nichts tat 
				und die Zerstörung des alten Systems mit der Unfähigkeit oder 
				Unwilligkeit der Institutionen verbunden war, die Demokratie 
				auch durch Recht und Ordnung zu festigen. Kein Wunder dann, daß 
				die Marginalisierung der Romabevölkerung weiter vorangetrieben 
				wurde. In den fast 
				20 
				Jahren seit dem Umbruch stieg die Anzahl der Angehörige dieser 
				Minderheit an, die sich daran gewöhnten, durch Diebstahl, 
				Bettelei, Prostitution und Drogenhandel zu ernähren. In der Tat 
				ist die Kriminalität unter den 
				Roma 
				17 mal größer als bei den übrigen Volksgruppen geworden. Es 
				wächst also eine Generation, die schon keinen Halt vor schweren 
				Delikten macht und auch ein äußerst niedriges Bildungsniveau 
				besitzt. Und wenn man die große Geburtenrate der Roma in 
				Betracht zieht, zeichnen sich somit für die Zukunft des Landes 
				keine erfreuliche Perspektiven.  
				
				So kommen wir zu den 
				schwierigsten Problemen der Transformation, 
				die 
				auch die Lage der Minderheiten beeinflussen. Sie sind vor allem 
				in dem ständigen Pauperisieren der Gesellschaft zu suchen. Die 
				soziale Differenzierung 
				ist 
				unter allen ethnischen 
				Gruppen zu 
				beobachten und 
				die Kluft zwischen der verarmten Mehrheit und der kleinen 
				Schicht von 
				Wohlhabenden wird immer größer. Die sinkende Lebensqualität der 
				breiten Teile der Nation wird am schmerzhaftesten 
				aber 
				bei den Minderheiten 
				zu spüren. Hier hilft kaum das bloße Kopieren von woanders 
				erprobten Modellen und ihre formelle Einführung, ohne jedoch die 
				Lage konkreter 
				Bevölkerungsgruppen 
				tatsächlich aufzubessern. Die Einführung eines 
				Muttersprachenunterrichts für Roma-Kinder z. B. ist bestimmt als 
				einen guten Schritt für die Bewahrung und Entwicklung der 
				ethnischen Identität zu 
				bewerten. 
				Doch wo werden sie später von den erworbenen Sprachkenntnissen 
				Gebrauch machen? Offensichtlich nur im Rahmen der eigenen 
				Gruppe, wo sie das Romani sowieso sprechen. Ohne 
				dauerhafte gut finanzierte Anstrengungen zur Erhöhung der 
				allgemeinen Qualifikation und des kulturellen Niveaus dieser
				Menschen, 
				was zu verbesserten Arbeitschancen und Abnahme der Kriminalität 
				führen könnte, sind die Probleme unter (und mit) den Roma kaum 
				zu beseitigen. Solche Anstrengungen könnte sich aber nur eine 
				wohlhabende Gesellschaft mit einer gezielten 
				Sozialpolitik, 
				funktionierenden Staatsinstitutionen 
				und mit 
				einem entwickelten 
				Bewußtsein für die Prioritäten der Moral erlauben. Und das 
				heutige Bulgarien ist leider weit davon entfernt. 
				 
				
				Zwei Dekaden gezielte Liberalisierung im Bereich der Minderheitenpolitik 
				sind schon eine lange Strecke. Bulgarien der Minderheiten sieht 
				heute anders aus, als Bulgarien in den letzten Jahren des 
				kommunistischen Regimes. 
				Ich
				möchte hier 
				nur zwei Punkte 
				erwähnen, die 
				auf eine Mentalitätsänderung hinweisen. Zum ersten ist der 
				Begriff „Minderheit“ selbst, der früher im politischen Lexikon 
				fast fehlte, wenn es sich um Teilgruppen handelte, die ein 
				anderes Identitätsgefühl hatten als die dominierende 
				Staatsnation. Heute spricht man weit und breit von Minderheiten, 
				wobei das Word allein mit einem definitiven Artikel (als
				„die 
				Minderheit“) auch als eine sinnverwandte Bezeichnung für die 
				Roma benutzt wird. Man kann darin gewisse Nuancen der Nachsicht 
				oder der Herabsetzung erkennen. Doch dieser Ausdruck ist weit 
				milder, verglichen etwa mit 
				Benennung
				wie 
				„die Gebräunte 
				(мургавите)“, geschweige 
				denn 
				von dem verächtlichen 
				Spottname Mangal (auch Mango, Mangasar). 
				Diese Formen sind in informalen Gesprächen unter 
				„dem 
				Volk“ 
				im Gebrauch, während auf ein höheres Niveau und in der Presse 
				die politisch korrektere 
				Bezeichnung 
				der Zigeuner als „Roma“ verwendet wird. Das ist eine 
				qualitative Änderung und sie folgte nach 
				vielen
				mühsamen 
				Diskussionen über die 
				Art und Weise, wie in den Nachrichten und im öffentlichen 
				Diskurs die Zigeuner zu bezeichnen sind. Wurde es früher bei 
				jedem berichteten Delikt, in dem ein Roma verwickelt 
				surde, 
				diese Tatsache von den Massenmedien kaum verschwiegen, wird 
				heute die ethnische Zugehörigkeit der Täter überhaupt nicht 
				erwähnt. Und das ist der zweite Punkt, worauf ich aufmerksam 
				machen möchte. Natürlich sinkt damit die Kriminalität nicht, 
				doch wird die Dämonisierung einer Gesellschaftsgruppe 
				vermieden, die wegen eines niedrigen Bildungs- und Sozialstandes 
				(auch wegen gewöhnlicher Elemente der traditionellen Kultur) 
				viel leichter geneigt ist, Normen und Gesetze zu brechen. 
				 
				
				Es bleibt noch einiges 
				über die gegenwärtige Lage zu sagen. Die Tendenz der 
				Verminderung bulgarischer Bürger hält weiter an – sei es wegen 
				der höheren Sterblichkeit oder wegen der Emigration von Leuten 
				in einem arbeitsfähigen fertilen Alter. 
				Nach Angaben des
				Nationalen 
				Statistischen Institutes 
				sank die Anzahl der ständigen Bevölkerung Ende 2008 
				auf 7 606 551 
				Menschen, also mit 322 350 Menschen
				nach dem 
				letzten Zensus, 
				oder mit 33 700 Menschen (0,4%) im Vergleich zum 
				vorherigen Jahr 
				2007. Die 
				Fachleute wagen die Prognose zu machen, daß bei 
				den 
				ungünstigen sozial-ökonomischen Prozessen in Bulgarien seine 
				Bevölkerung im Jahr 2060 etwa die Zahl von 5 166 000 
				Menschen erreicht 
				(weniger, als 
				die 1926 registrierte 
				Größe
				von 
				5 478 741 
				Menschen!). 
				Und das Problem liegt nicht in der Verminderung der totalen Zahl 
				bulgarischer Bürger, sondern in der Senkung des Bildungs- und 
				Kulturniveaus derjenigen davon, die das Bruttosozialprodukt 
				produzieren werden. Noch heute erreicht über 30% aller Kinder 
				(ausschließlich Romakinder) die Schwelle der Grundschulbildung 
				(die 6. Klasse) nicht. Damit müssen sie sich künftig mit nicht 
				qualifizierten Berufe begnügen, oder werden sie vom Arbeitsmarkt 
				ausgeschlossen. Dazu kommt die allgemeine Alterung der 
				Bevölkerung (von etwa 63% im Jahr 2010 bleiben 2060 die 
				arbeitsfähigen Bürger nur 50% und die im
				Seniorenalter 
				werden in derselben 
				Zeit von 23% auf 37% anwachsen). Gewiss ist 
				das 
				kein bulgarisches Phänomen, sondern eine allgemeine europäische 
				Tendenz, die man teilweise mit Aufnahme von Immigranten (auch 
				aus der muslimischen Welt) zu modellieren pflegt. Doch in 
				unserem Falle, 
				wenn es sich nichts ändert, 
				wäre im Jahr 2060 das größte Teil der arbeitsfähigen Bulgaren 
				unterqualifiziert, was sich auf das Lebensqualität derjenigen 
				auswirkt, die 
				das Rentenalter 
				erreicht hätten. Und Muslime haben wir nach wie vor genug, um 
				noch weitere anzusiedeln, ohne das Risiko von einer Gefährdung 
				der kulturellen Balance.  
				
				Damit komme ich zum 
				Schluß. Wenn ich die heutige Lage der Minderheiten in großen 
				Zügen beschreibe, sind die folgenden „Snapshots“ zu merken: 
				Einen Teil wie Russen, Armenier, Griechen,
				Ukrainer, Rumänen u. a. integrierten sich gut
				in der 
				bulgarischen 
				Gesellschaft, stehen 
				kulturhistorisch und konfessionell der ostorthodoxen Mehrheit
				sehr 
				nah und bieten ihr 
				keine Probleme 
				an. Die Juden 
				besaßen auch vor der Wende gute Positionen. Die Mehrheit 
				davon 
				gehörten zur Kategorie 
				der sogenannten „Aktiven Kämpfer gegen dem 
				Kapitalismus und 
				dem 
				Faschismus“ – eine 
				privilegierte Schicht, die sich auf viele Erleichterungen und 
				Vorteile erfreute, so beim Einschreiben zum Studium, bei 
				Ernennung auf einem Posten, beim Erhalten einer Wohnung usw. Die 
				überwiegende Mehrheit davon waren Mitglieder der KP, manche – 
				auf sehr hohe Positionen im Parteiapparat. Viel größer war
				auch 
				die Anzahl der mit 
				Juden verschwägerten Bulgarinnen und Bulgaren – sie profitierten 
				von der 
				Verwandtschaft. 
				Nach der Wende 
				eröffneten 
				sich 
				nun weitere 
				Möglichkeiten. Manche Juden nutzten die Gelegenheit, sich als 
				israelische Staatsbürger zu registrieren. Andere schlossen sich 
				Stiftungen und NGO an, fanden gute Stellen in Wirtschafts- und 
				Finanzinstitutionen und trugen zum Aufbauen der bürgerlichen 
				Gesellschaft bei.  
				
				5071 bulgarische Bürger definierten sich beim Zensus 2001 als 
				Makedonier. Die Mehrheit davon stammten aus dem Gebiet vom 
				Blagoevgrad. Politisch werden sie von der 1999 registrierten, 
				doch bereits
				2000 als 
				Verfassungswidrig erklärten Vereinigte Makedonische Organisation: 
				Ilinden-Pirin (OMO-Ilinden) vertreten. Die Situation
				mit 
				der
				Minderheit 
				schreibt sich in der bulgarisch-jugoslavischen Kontroverse um 
				Makedonien ein. 
				Und obwohl in der letzten Zeit einiges für die Verbesserung der 
				Beziehungen beider benachbarten Staaten und Nationen getan wurde, 
				sind noch viele Hindernisse in der mentalen Sphäre zu überwinden.
				 
				
				Weit 
				entspannter entwickelte sich die Situation mit den bulgarischen
				Türken. In diesen langen Jahren lernte das Staatsvolk 
				ihre türkische Minderheit besser kennen. Der Hauptvertreter der 
				Türken und Muslime im Lande – die Bewegung für Rechte und 
				Freiheiten nahm auch christliche Bulgarinnen und Bulgaren in 
				ihren Reihen auf, um sich als eine nicht-ethnische nationale 
				Partei zu behaupten. Ein kluger Schritt seitens der 
				Parteiführung, die auf diese Weise mit genügend Fachkräfte für 
				die Repräsentation der BRF auf alle Verwaltungsebenen rechnen 
				könnte. Bereits seit den 90er Jahren spielte die „türkische 
				Partei“ eine wichtige Rolle im politischen Leben Bulgariens. Und 
				in unserem Jahrzehnt 
				war 
				sie schon 
				zweimal eine 
				mitregierende Partei. 
				Bis vor einigen Monate 
				hatte die Bewegung in 
				jedem Ministerium falls nicht einen Minister dann einen 
				stellvertretender Minister, sowie Leute auf zahlreiche 
				niedrigere Positionen. Es kann sein, daß einige davon ihr 
				Kompetenzniveau schon längst überschritten hatten. 
				Daher die Beispiele der Nichtbewältigung der Arbeit, aber auch 
				die Fälle einer Korruption, die doch gleich 
				auch 
				unter den Bulgaren in 
				solchen Positionen verbreitet sind.  
				
				Über die Roma 
				habe ich bereits einiges gesagt. Sie besitzen auch ihre eigenen 
				Vereine, die besonders bei Wahlen aktiv sind und um die größeren 
				politischen Subjekte gravitieren. Und was die 
				Pomaken
				angeht, 
				bleiben 
				sie 
				weiterhin unter 
				gemischten 
				Einflüssen. Daher 
				die 
				Bestrebung nach einer ethnisch 
				neudefinierten 
				Identität. Der für den Islam gewonnene Raum wird durch Moscheen 
				markiert, sehr
				oft mit 
				großzügigen Spenden aus der Türkei und 
				aus 
				der islamischen Welt 
				neugebaut – auch in Ortschaften, wo es früher 
				traditionell 
				keine Moscheen gab. Und 
				die muslimische Zugehörigkeit 
				dieser Bevölkerung
				wird äußerlich 
				in der Bekleidung demonstriert, wobei nun auch – gewiss noch als 
				eine Rarität – arabische Elemente zu erkennen sind. Dies ist im 
				Einklang mit der Wohltätigkeit mancher Organisationen, sowie mit 
				den gezielt verbreiteten Vorstellungen (so in Saudi Arabien) von 
				einer islamischen oder gar arabischen Herkunft der „echten“ 
				Bulgaren, wobei als solche auf dem Balkan nur die Pomaken in 
				Frage kämen.  |